Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
so wie ihre Mutter, die es sich sogar in den Kopf gesetzt hatte, die Volljährigkeitsprüfungen abzuschaffen. Zur größten Schmach unseres Clans hat sie sogar im Rat darüber gesprochen. Ich verstehe nicht, weshalb Jori Jestak sie nicht das Shiro-Privileg hat auskosten lassen, selbst gegen ihren Willen. Ich habe begriffen, dass die Zeit reif war, als sie diesen alten Außenweltler, diesen Botschafter besucht hat. Ein Sitabeh, mit dem sie Zeit verbrachte und gemeinsam Berichte über die Föderierten Welten las, als könnte das von irgendeinem Interesse für einen Ta-Shimoda sein! Und dann kam sie zurück, mit einem Haufen Ideen, und wollte vieles verändern und erneuern. Warum aber sollte man in unserer Gesellschaft irgendetwas verändern wollen? Was für unsere Mütter galt und für die Mütter unserer Mütter, soll plötzlich für uns keine Gültigkeit mehr haben?«
»Wie hast du sie umbringen lassen?«, murmelte Suvaïdar aus der Ecke, in der sie hockte, nahezu unsichtbar im zitternden Licht des Ölstäbchens.
»Ich musste nicht einmal den kleinen Finger krümmen. Der Sitabeh hat sich um alles gekümmert. Nicht der alte Coont, sondernder andere, der seine Geschäfte hinter dem Rücken des Alten gemacht hat. Diese Außenweltler sind ein Volk ohne Clans und ohne Sh’ro-enlei, abscheuerregende Untermenschen, allerdings leichter zu handhaben als die Asix.«
Odavaïdar hatte nun zu einer fast normalen Aussprache zurückgefunden; das ließ erkennen, dass die Wirkung des Medikaments nachließ. Suvaïdar hoffte, dass noch genug Zeit blieb, damit die Alte alles preisgab, was sie in Erfahrung bringen wollte.
»Ich habe den Sitabeh glauben lassen, dass nach dem Tod von Haridar und ihren Kindern ich diejenige wäre, die sie im Amt beerben würde, und dass ich in diesem Fall über den Anschluss Ta-Shimas an die Föderation verhandeln würde. Dieser Schwachkopf war ganz begeistert! Er hat mir sofort geglaubt. Er hat den Unfall genau so organisiert, wie ich es wollte, und ist dann gekommen, um seinen Lohn zu kassieren. Er war überzeugt, einen Vorteil daraus ziehen zu können, wenn er seinen Chefs unseren Planeten als Geschenk überreicht. Er hatte überhaupt keinen Grund, einer alten Dame wie mir zu misstrauen. Es war für mich ein Leichtes, ihm die Kehle durchzuschneiden! Ihn in Stücke zu schneiden und zum Vorratsraum der Burs zu tragen, hat allerdings lange gedauert und war furchtbar nervig. Er hat dann als Hundefutter gedient, wobei ich mich frage, ob er an die Hirtenhunde verfüttert wurde oder an seine eigenen Landsleute, die ja Leichen essen.«
»Warum hast du auch Haridars Kinder getötet?«
»Verdorbenes Blut. Es war klüger, sie auch gleich zu eliminieren. Die Jestaks hätten niemals die Erlaubnis für eine Empfängnis erteilen dürfen. Suvaïdar und Micha’l waren eine Schande für den Clan, und auch wenn Sorivas und Oda bis jetzt noch nichts Schlimmes getan haben, ist es nur eine Frage der Zeit. Sie können nicht anders sein als die beiden anderen.«
Die Wirkung des Mittels, das Néko der Alten in den Tee getan hatte, war praktisch verflogen. Odavaïdar hielt von Zeit zu Zeit inne, so als versuche sie, die Sätze, die ihr gegen ihren Willen entlockt worden waren, wieder einzufangen. Dann verfiel sie in Schweigen und atmete, den Kopf schüttelnd, tief ein und aus.Womöglich wollte sie ihr Hirn von dem Nebel befreien, der ihren Kopf immer noch erfüllte.
Mit einem Mal wurde ihr Blick klar. Sie schaute sich im Zimmer um und sah den Schatten der Besucherin.
»Das bist du, Suvaïdar, stimmt’s?«, fragte sie mit einer Stimme, die wie immer klang, ruhig und ausgeglichen. »Ich hatte Middael befohlen, sich um dich zu kümmern, nachdem du zurückgekehrt warst. Ich wollte nicht abwarten, bis du Gelegenheit hast, Fragen zu stellen und überall herumzuschnüffeln. Was hast du mir zu trinken gegeben?«
»Etwas, das seine Aufgabe erfüllt hat. Es war keine gute Idee, mich Medizin studieren zu lassen.«
»Du weißt jetzt, was du wissen wolltest, nicht wahr? Was wirst du jetzt tun?«
»Ich? Gar nichts. Aber du wirst das Shiro-Privileg in Anspruch nehmen. Und zwar sofort. Ich stimme mit dir überein, was ein Prinzip betrifft, das ich seit meiner Kindheit verteidige: Wer gegen das Sh’ro-enlei verstößt, verdient eine harte Strafe. Ich werde mich dir gegenüber als großzügig erweisen, alte Frau. Ich erlaube dir, ehrenhaft zu sterben. Nicht meinetwegen, sondern des Clans wegen, der nicht die Blamage verdient, eine
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