Das Gesicht des Teufels
Hanna. «Wer im Himmel ist, hat weder Hunger, Durst noch Schmerzen. Vor allem aber braucht er nicht mehr traurig zu sein und hat nie wieder Angst.»
«Warum?»
«Weil alle guten Seelen die Musik der Engel hören dürfen. Und die ist so schön, dass jede Seele vor Glück immerzu lächelt.»
«Woher weißt du denn das?», fragte Marie unsicher.
«Ich bin deine große Schwester, als solche muss ich es doch wissen, oder?»
Hanna nahm ein paar Steine vom Grab und zeigte Marie, wo sie ihrer Meinung nach besser hinpassten. «Aber eines musst du mir jetzt sagen, Marie. Wie sah der Mann aus, der in unsere Hütte geguckt hat? War es der Ritter, der …», mir nicht aus dem Kopf geht, hätte sie am liebsten geschlossen, doch sie biss sich auf die Zunge. Wie konnte sie nur hier, an Vaters Grab, an ihn denken!
«Nein! Ich hab es dir doch schon fünfmal erzählt. Er hatte einen grauen Kräuselbart, sah zuerst wild aus, dann aber nicht mehr. Sein Hut war schwarz, hoch und hatte eine breite Krempe, die Beinlinge waren fein, die Stiefel bestimmt neu. Der Mantel aus festem Loden. Warum denkst du immer noch an ihn?»
Weil ich nicht wahrhaben will, dass es nicht mein Ritter war, dachte Hanna stumm. Ihr Herz begann zu stolpern, wieder kam ihr ihre Vision in den Sinn. Diesmal gab es keinen Zweifel, auch wenn Arndt sie für verrückt erklärt hatte: Sie hatte das Feuer geschaut, alles, den Brand, den Rauch, sogar das Pferd des Deutschen Ritters, auf dem sie gesessen hatte. Zu deutlich erinnerte sie sich an all diese Bilder, vor allem aber an das unerfindliche süße Gefühl, das sie ebenfalls verspürt hatte. Es kommt immer dann, wenn ich an ihn denke, dachte sie. Dann wallt es wie der Rauch, wenn das Feuer in eine belaubte Krone greift.
Hanna stand auf und schüttelte Erde von ihrer Schürze. Seit dem frühen Morgen zerrissen Axthiebe die Stille. Die verbrannten Stämme wurden gefällt und von ihrer Kohleschicht befreit. Es galt zu retten, was noch irgendwie von Wert war. Das teils unversehrte Kernholz taugte noch zum Feuermachen, und wer die vom Regen gelöschte Kohle trocknete, konnte damit seine Öfen befeuern.
«Was guckst du so auf Papas Kreuz?» Marie klopfte die Erde glatt. «Siehst du gerade, wie er durch den Himmel fliegt?»
«Nein.»
«Schade.»
Hanna hatte gar nicht gemerkt, wie starr ihr Blick auf dem Grabkreuz lag. Dabei hatte sie nicht eine Sekunde an ihren Vater gedacht.
Verzeih mir, Vater, dachte sie beschämt und bekreuzigte sich. Und steh mir bei. Du weißt, warum.
«Hanna!»
Arndts Stimme. Sie merkte, wie sich ihre Gesichtszüge verhärteten. So, jetzt geht es los, wusste sie und presste die Lippen aufeinander. Jetzt geht es ums Geld.
Arndt hob den Arm, sie winkte zurück. Langsam kam sie näher. Die sauertöpfische Miene ihres Bruders sprach für sich, kein Wunder, denn er war nicht allein.
Wer sonst als die Brüder Goltz, dachte Hanna. Sie stützten sich auf mächtige Äxte, deren Schneiden unheilvoll in der Sonne blinkten, und schauten ihr verdrießlich entgegen. Hans und Veit Goltz waren Bierbrauer, um die zehn Jahre älter als Arndt und jeder von einer beängstigend vierschrötigen Statur. Sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel, wohnten im selben Haus und, so wurde gelästert, teilten sich jetzt ein und dieselbe Frau, nachdem Veit vor zwei Jahren Witwer geworden war.
«Endlich!» Arndt klang ärgerlich, seine Augen flackerten. «Hast wieder geträumt, ja? Pass bloß auf. Hexen sind schnell gefunden. Aber egal … Ich habe unseren Freunden hier gesagt, wie es um uns steht, dass nichts zu holen ist. Am Brand war allein das Erdbeben schuld.»
«Hexen? Freunde?»
Hans Goltz riss überrascht die Augen auf, sein Bruder Veit stöhnte missmutig. Er hatte nach dem Tod seiner Frau Gretel mit Hanna geliebäugelt und sie letztes Jahr am Johannistag zur Tanzlinde vor dem Rödertor eingeladen. Nach jedem Tanz aber war er ein Stück lauer geworden, weil er begriffen hatte, dass er sie trotz ein paar Bechern Wein nicht hinter den nächstbesten Busch bekam.
Gehässig hatte er dann zu ihr gesagt: Mach’s dir doch selbst. Oder bist du dafür auch zu arm?
Eigentlich war sie erleichtert gewesen. Denn nur ihrem Vater zuliebe war sie mit Veit nach Rothenburg gegangen. Trotzdem hatte es sie gekränkt, allein aufgrundihrer Herkunft derart niederträchtig abgefertigt worden zu sein.
«Nichts ist mit Hexen», wiegelte Arndt ab. «Ich wollte nur davor warnen, dass wir uns vorschnell entzweien.»
«Das
Weitere Kostenlose Bücher