Das Gesicht des Teufels
als wollte jeder ein Stück vom anderen spüren.
Bernward wagte kaum zu atmen. Hanna schlief mit angezogenen Beinen auf der Seite, Arndt lag schnarchend auf dem Rücken. Von Marie waren nur Augen und Scheitel zu sehen.
Sein Blick wanderte weiter, dorthin, wo im rechten Winkel zu den Schlafenden auf einem aus verkohlten Stämmen gebauten Katafalk ein toter Mann lag. Sein mit einem Tuch sorgfältig verbundener Kopf sagte Bernward alles. Umso mehr erschütterte ihn das Lächeln auf dem Gesicht des Toten.
Er bekreuzigte sich, empfand Scham und tiefe Betroffenheit.
Da schlug die Kleine die Augen auf.
Ihr Blick ging ihm durch und durch. Er legte den Fingerauf den Mund und machte sich auf Zehenspitzen davon. Als er wieder im Sattel saß, fühlte er sich schuldig.
Ich werde im Rat sagen, sie haben nichts damit zu tun, dachte er. Auch wenn ihre Meiler zu nah am Unterholz standen. Ohne das Erdbeben wären sie bestimmt nicht eingestürzt. Also sollte es so sein. Und der Köhler hat weiß Gott mit allem bezahlt, was er besaß.
5
Der Schlaf hatte Hanna geholfen, den gröbsten Schmerz zu überwinden. So fiel ihr am nächsten Morgen wieder ein, dass ihr Vater einmal gesagt hatte, er wolle gern unter der alten Eiche begraben werden. Sie stand auf und beschloss, die anderen nicht zu wecken, damit sie für das Wichtigste die Ruhe hatte, die sie brauchte. Tatsächlich fand sie bald, was sie suchte: zwei gerade Aststücke, das eine kurz, das andere länger. Sie hobelte sie glatt und band sie schließlich mit Weidenruten zu einem Kreuz zusammen. Anschließend wusch sie ihrem Vater Füße, Hände und das Gesicht und nähte ihn in ihr letztes gutes Leinentuch. Als das getan war, machte sie Feuer, setzte den Rest Mus vom Vortag auf und weckte Marie und Arndt.
Gleich nachdem sie gegessen hatten, trugen sie den Leichnam gemeinsam über die Lichtung. An ihrem östlichen und nördlichen Saum war der Wald vollständig abgebrannt und hatte sich in eine gespenstische Aschelandschaft verwandelt.
Nicht hinschauen, versuchte Hanna sich zu beruhigen. Wie schön ist dagegen unsere alte Eiche. Friedlich und unbeschadet wachte sie im goldenen Oktoberlicht überdie Lichtung. Helle Strahlenbündel blitzten zwischen ihrem herbstlich gefärbten Laub auf, ein kühler Wind trieb rostbraune Blätter vor sich her.
Hanna nahm Marie auf den Schoß und lehnte sich an den alten Stamm. Stumm sahen sie Arndt zu, wie er die Erde aushob. Wie lose Blätter, die über den Waldboden wehten, so zogen die Erinnerungsfetzen aus Hannas Vergangenheit an ihr vorüber. Wie ihr Vater sie das erste Mal auf seine Schultern gehoben hatte, damit sie in ein Vogelnest schauen konnte. Wie er mit ihr an einem heißen Sommertag in die Tauber gesprungen war, obwohl sie arge Angst vor dem Wasser gehabt hatte. Nie hatte er sie geschlagen, nie angeschrien, wie so viele andere Männer es mit ihren Frauen und Kindern taten. Ja, er war ein guter Vater gewesen. Es gab nichts, worüber sie sich schämen müsste.
Aber ob er nun ein rechtschaffener Köhler war oder nicht, überlegte sie, niemand achtet uns. Weil wir so oft schwarze Hände und Gesichter haben, denken alle, so schwarz wären auch unsere Seelen. Fast jede Köhlerin, die alt wird, gerät irgendwann in Verdacht, eine Hexe zu sein.
Die Grube war jetzt tief genug, Arndt stemmte sich gerade aus ihr heraus. Hanna begegnete seinem Blick. Unwillkürlich begann sie zu weinen. Jetzt habe ich nur noch dich und Marie. Aber du bist oft stur wie ein Bock, Bruder. Und was du mit mir vorhast, wie du mich an den Herren-Müller verschachern willst, das hätte Vater nie unterstützt.
Sie erhob sich, drückte Marie ihr Rosenkreuz in die kleinen Hände und bedeutete ihr, sie solle beten. Dann half sie Arndt, ihren Vater der Erde zu übergeben. Zum Schluss kniete auch sie neben dem Grab nieder, richtete das Holzkreuz und legte die Hände aneinander.
Arndt stand schließlich als Erster auf: «Die Meiler wollenihren Herren sehen. So ist nun mal das Gesetz für uns Köhler. Was soll ich noch lange beten. Gott weiß doch, wie gut Vater war.»
Hanna sah ihrem Bruder nach. Geh nur, dachte sie und zog Marie an sich. Aber was du auch ausheckst, Marie darf nicht darunter leiden. Sie nicht. Nie.
6
Zwei Tage später besuchten die beiden Schwestern erneut das Grab. «Hat Papa es jetzt wirklich besser?», fragte Marie. Sie hatte einen Eimer kleiner bunter Steine gesammelt, mit denen sie nun auf dem Grab eine Blume legte.
«Natürlich», erwiderte
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