Das Gesicht des Todes: Authentische Mordfälle (German Edition)
einmal das Härteste meiner Laufbahn als Kriminalbeamter hinter mir. Noch heute klingt das hohe Summen der elektrischen Schwingsäge und das nicht zu beschreibende Geräusch in meinen Ohren, als der Gerichtsmediziner die Säge ansetzte, um die Schädeldecke des Kindes aufzutrennen.
Was ich jedoch bei der Obduktion des in der Nacht aufgefundenen Toten erleben musste, übertraf alles Vorherige und auch Nachfolgende bei weitem. Im Sektionsraum stank es bestialisch. Ich weiß noch, dass ich mich wunderte, wie Menschen einen solchen Gestank überhaupt aushalten können. Es half auch nichts, dass ich mir ein Taschentuch vor Mund und Nase hielt. Jede Sekunde dachte ich, ich müsste mich übergeben. Doch ich wollte keine Schwäche zeigen und riss mich mit aller Gewalt zusammen. Am Schlimmsten war für mich, als die Bauchdecke der Leiche geöffnet wurde. Mir strömte ein Schwall des übelsten Geruches entgegen, den man sich überhaupt vorstellen konnte. Er stellte alles in den Schatten, was ich noch bei dieser Leichenöffnung hatte erdulden müssen.
Die inneren Organe waren zu meinem Erstaunen noch erkennbar, wenn auch schon deutlich in Verwesung übergehend. Während der Obduzent ständig bemüht war, sein Vorgehen und seine vorläufigen Schlussfolgerungen zu erklären, konnte ich nichts anderes tun, als gelegentlich zu nicken, obgleich er von mir in dem einen oder anderen Fall sicher eine Antwort erwartet hätte. Doch mir blieb zum Sprechen regelrecht die Luft weg. Jedes vorsichtige Luftholen barg die Gefahr, mich übergeben zu müssen. Wie sollte ich da auch nur ein Wort hervorbringen?
Der Gerichtsmediziner hatte diese Probleme offenbar nicht. Er diktierte unter anderem Folgendes in sein kleines Tonbandgerät:
» Der Leichnam ist in einer der Länge nach aufgeschnittenen Luftmatratze verpackt, die mit Schnüren zusammengebunden ist. Nach Freilegung der Leiche wird festgestellt, dass es sich um eine zirka 60-jährige männliche Person im fortgeschrittenen Verwesungszustand handelt. Am gesamten Körper ist die Oberhaut bereits dunkelbraun bis schwarz gefärbt. Der Madenbefall ist ausgeprägt. Es tritt an mehreren Stellen Körperflüssigkeit aus. Der Leichnam ist 182 Zentimeter groß und 87 Kilogramm schwer. Am Kopf sind mittelblonde, stark gelichtete Haare zu erkennen. Beim Röntgen der Leiche sind im Thoraxbereich mehrere unterschiedlich große Geschossteile zu sehen.
Der Tote trägt am Oberkiefer eine Vollprothese. Die Zähne am Unterkiefer sind vollständig. Ober- und Unterkiefer werden zur Erstellung eines späteren Zahnschemavergleiches entfernt und asserviert.
Im rechten oberen Brustbereich wird ein fünf mal zehn Zentimeter großes Loch festgestellt. Beim Öffnen des Brustkorbes werden mehrere Rippenfrakturen sichtbar. Ein zunächst als Madenöffnung angesehenes Loch, acht Zentimeter unterhalb des rechten Oberarmes, wird als Einschuss lokalisiert. Der Schusskanal verläuft horizontal von rechts nach links durch den gesamten Thorax.
Das Herz, die Leber, die Lunge, das Zwerchfell und die Aorta sind durch Geschossteile und deren zweifellos hohe Absorptionsenergie zerfetzt worden. Da der Tod sofort eintrat, ist trotz der deutlichen Verwesung noch reichlich Blut im Körper.«
Erst als die Obduktion beendet war und ich zusammen mit den anderen den Sektionsraum verlassen hatte, konnte ich dem Obduzenten die alles entscheidende Frage nach dem Todeszeitpunkt stellen. Der Gerichtsmediziner wollte sich nicht genau festlegen. Aber er vertrat die Auffassung, der Mann müsse vor etwa drei Wochen in der Wohnung der Irene Mack zu Tode gekommen sein.
Der Leichengeruch setzte mir den ganzen Tag und auch noch die folgenden zwei Tage zu. Er hatte sich in meinen Schleimhäuten festgesetzt, und der Versuch, ihn mit allen möglichen Flüssigkeiten zu beseitigen, schlug fehl. Das wirkte sich natürlich sehr negativ auf meinen Appetit aus. Ich konnte in den folgenden drei Tagen so gut wie nichts essen.
Unmittelbar nach der Obduktion wurde eine 15-köpfige Sonderkommission einberufen, die ihre Arbeit noch am selben Tag aufnahm. Nachbarn, Bekannte und andere mögliche Zeugen wurden befragt. Die Fahndung nach der spurlos verschwundenen Irene Mack wurde mit Hochdruck vorangetrieben.
So nach und nach konnte in Erfahrung gebracht werden, um was für einen Menschen es sich bei der Flüchtigen handelte und welchen Umgang sie pflegte.
Irene Mack war 43 Jahre alt. Sie lebte von der Sozialhilfe. Ihre kleine Parterrewohnung wurde ebenfalls
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