Das Gesicht des Todes: Authentische Mordfälle (German Edition)
Denn je nach Motiv kann sich bei gleicher Sachlage der Straftatbestand gravierend ändern. So kann nach den Buchstaben des Gesetzes aus einer vorsätzlichen Tötung, die sich für den Laien unzweifelhaft als Mord darstellt, beispielsweise eine Körperverletzung mit Todesfolge, ein Totschlag oder vielleicht auch eine Tötung auf Verlangen werden.
Wir waren alle sehr gespannt, ob Irene Mack tatsächlich zu den ganz wenigen Frauen gehörte, die mit einer Schusswaffe töteten, und welches Motiv der Tötung schließlich zugrunde lag.
Fünf Tage nach ihrer Flucht konnte die des Mordes Verdächtige dann tatsächlich in Speyer nach dem konkreten Hinweis eines Autofahrers von einer Polizeistreife festgenommen werden. Bei ihrer Festnahme hatte sie keinerlei Ausweispapiere bei sich und gab einen falschen Namen an. Es nützte ihr nichts. Sie wurde von den Beamten anhand der vorliegenden Fahndungsfotos und individueller Merkmale eindeutig erkannt. Unmittelbar nach ihrer vorläufigen Festnahme wurde sie der Soko überstellt.
Zu gern hätte ich als junger Kriminalmeister die Tatverdächtige vernommen, um meine Fähigkeiten als Ermittler unter Beweis zu stellen. Doch diese wichtige Aufgabe wurde selbstverständlich erfahrenen Kollegen übertragen.
Als Kriminalkommissar Daum das Vernehmungszimmer betrat, war Kriminalhauptmeister Brecht bereits da. Er lehnte sich an die Wand neben der Tür. Irene Mack saß mit gesenktem Blick und vor dem Körper verschränkten Armen auf einem der drei Stühle. Auf dem kleinen Tisch lag die von der Mordkommission angelegte Akte.
Wie es das Gesetz verlangt, musste Daum die Tatverdächtige zuerst über ihre Rechte aufklären. Dazu gehörte, dass er ihr den Tatvorwurf bekanntgab und sie darauf hinwies, sie habe ein Aussageverweigerungsrecht, könne jederzeit einen Rechtsanwalt zur Vernehmung hinzuziehen oder auch ohne Rechtsanwalt Angaben machen, die später jedoch vor Gericht gegen sie verwendet werden können.
Viele Tatverdächtige verzichten auf einen Anwalt. Gleichwohl machen sie aber Angaben, weil sie durch eisiges Schweigen nicht den Eindruck erwecken wollen, etwas zu verbergen. Denn wenn sie ihre eigene Geschichte oder Wahrheit an den Mann bringen, hoffen sie, damit den Kopf aus der Schlinge ziehen zu können. Ist es eine Lügengeschichte, so glauben sie, müssen sie nur die dumme Polizei und nicht auch noch einen cleveren Rechtsanwalt anlügen, der sie eventuell gleich durchschaut.
Kaum hatte Daum die sogenannte Beschuldigtenbelehrung bei Irene Mack durchgeführt, als er auf gehörigen Widerstand stieß. Die Tatverdächtige weigerte sich, ihre Unterschrift unter das vom Gesetzgeber verlangte Belehrungsformular zu setzen, weil der Tatvorwurf auf Mord lautete und sie mit einem Mord, wie sie sagte, nichts zu tun habe. Daum ließ sich dadurch jedoch nicht aus der Ruhe bringen und fing mit der Vernehmung an, die auf Tonband aufgezeichnet wurde.
Irene Mack begann damit, dass sie am 8. November des Vorjahres in der Nähe von Essen einen Verkehrsunfall gehabt habe, bei dem sie verletzt worden sei. Man habe sie deshalb vorübergehend ins Krankenhaus gebracht.
Wörtlich gab sie zu Protokoll:
» Als ich zwei Tage danach, spätabends, nach Hause kam, saß Konrad, wie so oft, mit dem Rücken zur Tür am Küchentisch. Seinen Kopf hatte er auf der Tischplatte abgelegt, so dass ich den Eindruck hatte, er ist am Tisch eingeschlafen. Ich begrüßte ihn, doch er gab mir keine Antwort, weshalb ich annahm, dass er wieder mal betrunken war. Weil ich hundemüde war, begab ich mich ins Schlafzimmer.
Am nächsten Morgen kam ich in die Küche, und er gab mir wieder keine Antwort. Da bin ich zu ihm hin und berührte ihn am Kopf. Er fühlte sich ganz kalt an, und ich merkte, dass er tot war. Ich vermutete, er könnte einen Herzschlag bekommen haben, weil er mir einmal erzählte, er habe Herzprobleme.
Da ich ihn sehr liebte und ich mich nicht von ihm trennen wollte, ließ ich ihn so auf dem Stuhl sitzen. Er war zwar tot, und das war ganz schlimm, aber er saß dann immerhin noch bei mir, wenn ich in der Küche war und frühstückte. Zehn oder elf Tage ließ ich ihn so sitzen.
Weil er immer brauner im Gesicht wurde, konnte ich ihn schließlich nicht mehr ansehen. Ich nahm ihn vom Stuhl herunter und legte ihn auf den Küchenboden. Danach deckte ich Konrad mit einer blauen Decke zu. So konnte ich ihn mir jederzeit anschauen, wenn mir danach war. Es war um diese Jahreszeit schon sehr kalt draußen, und ich hatte in
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