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Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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erhoben.
    Aus vielleicht hundert Broschüren wählte sie vier aus und stellte fest, dass es sich dabei um Gedenkbüchlein von der
Sorte handelte, die auf Beerdigungen an die Trauergäste ausgeteilt werden. Der Name des Verstorbenen lautete auf jeder Broschüre anders, doch sie stammten alle vom Bestattungsinstitut Fullbright.
    Nancy Whistler, die Bibliothekarin, die Allwines Leiche gefunden hatte, hatte gesagt, er sähe sich regelmäßig aufgebahrte Leichen an, weil ihm das ein Gefühl von Frieden gäbe.
    Sie steckte die vier Büchlein in ihre Tasche und schloss die Schublade wieder.
    Der Geruch nach Lakritz hing so schwer in der Luft wie am Nachmittag. Carson konnte die beunruhigende Vorstellung nicht abschütteln, jemand hätte die schwarzen Kerzen auf dem Tablett auf dem Fenstersitz gerade erst kürzlich angezündet.
    Sie ging zu den Kerzen hinüber und tastete das Wachs um die Dochte herum ab, wobei sie fast damit rechnete, es noch warm vorzufinden. Nein. Kalt und hart, um jeden einzelnen Docht herum.
    Ihr Eindruck von der Kulisse vor dem Fenster war entmutigend, aber ganz und gar subjektiv. Das beständige New Orleans hatte sich nicht verändert. In den Klauen schleichender Paranoia sah sie jedoch nicht die fröhliche Stadt, die sie kannte, sondern eine bedrohliche Metropole, einen fremdartigen Ort voller unnatürlicher Perspektiven, pulsierendem Dunkel und gespenstischem Licht.
    Die Spiegelung einer Bewegung auf dem Glas lenkte ihren Blick von der Stadt ab und zog ihn auf die Oberfläche der Fensterscheibe. Eine große Gestalt stand im Zimmer hinter ihr.
    Sie griff in ihre Jacke und legte eine Hand auf die 9 mm-Pistole in ihrem Schulterhalfter, zog sie aber nicht. Dann drehte sie sich um.
    Der Eindringling war groß und kräftig und ganz in Schwarz gekleidet. Vielleicht war er aus dem Wohnzimmer
oder aus dem Bad gekommen, aber er schien sich urplötzlich aus der schwarzen Wand herausgelöst zu haben.
    Er stand knapp fünf Meter von ihr entfernt, wo die Schatten sein Gesicht verbargen. Seine Hände hingen an seinen Seiten hinunter … und schienen so groß wie Schaufeln zu sein.
    »Wer sind Sie?«, fragte sie schroff. »Woher kommen Sie?«
    »Sie sind Detective O’Connor.« Seine tiefe Stimme hatte ein Timbre und eine Resonanz, die bei einem anderen Mann nur den Eindruck von Selbstsicherheit vermittelt hätten, in Verbindung mit seiner enormen Größe jedoch bedrohlich wirkten. »Sie waren im Fernsehen.«
    »Was haben Sie hier zu suchen?«
    »Ich gehe, wohin ich will. Im Lauf von zweihundert Jahren habe ich eine Menge über Schlösser gelernt.«
    Seine Andeutung ließ Carson keine andere Wahl, als die Waffe zu ziehen. Sie richtete die Mündung auf den Fußboden und sagte: »Das ist unbefugtes Eindringen. Treten Sie ins Licht.«
    Er rührte sich nicht von der Stelle.
    »Lassen Sie die Dummheiten. Begeben Sie sich ins Licht.«
    »Das habe ich mein ganzes Leben lang versucht«, sagte er, während er zwei Schritte vortrat.
    Auf sein Gesicht konnte sie absolut nicht gefasst sein. Die linke Hälfte war attraktiv, doch mit der rechten stimmte etwas nicht. Über das, was da nicht stimmte, war zur Verschleierung ein kunstvolles Muster tätowiert, das an die Maori-Tattoos erinnerte und doch anders war.
    »Der Mann, der hier gelebt hat«, sagte der Eindringling, »war restlos verzweifelt. Ich erkenne seine Qual.«
    Obwohl er bereits stehen geblieben war, schien er näher zu rücken und hätte sich mit zwei Schritten auf sie stürzen können, und daher sagte Carson: »Das ist nah genug.«
    »Er ist nicht von Gott erschaffen worden … und er hatte keine Seele. Er hat entsetzlich gelitten.«

    »Haben Sie einen Namen? Weisen Sie sich aus, aber mit langsamen, bedächtigen Bewegungen.«
    Er ignorierte ihre Aufforderung. »Bobby Allwine hatte keinen freien Willen. Er war im Grunde genommen ein Sklave. Er wollte sterben, aber er konnte sich das Leben nicht nehmen. «
    Wenn dieser Typ Recht hatte, dann hatte Harker den Nagel auf den Kopf getroffen. Jede Rasierklinge in der Wand des Badezimmers stand für einen misslungenen Versuch der Selbstzerstörung.
    »Wir haben«, sagte der Eindringling, »eine eingebaute Selbstmordsperre.«
    »Wir?«
    »Allwine war aber auch voller Zorn. Er wollte seinen Schöpfer töten. Aber wir sind so konstruiert, dass es uns nicht möglich ist, die Hand gegen ihn zu erheben. Vor langer Zeit habe ich es versucht … und er hätte mich fast getötet. «
    Jede moderne Großstadt hat ihre Irren, und

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