Das Gesicht
Schichten von Victors idealer Gesellschaft könnte man unter Umständen mit kaum mehr als Maschinen aus Fleisch bestücken. Sie würden keine Zeit darauf vergeuden, mit ihren Arbeitskollegen über Nichtigkeiten zu plaudern.
Jetzt drückte er den Schalter, der die kugelrunde Vorrichtung, in die Randal geschnallt war, in Betrieb setzte. Sie begann zu kreisen, drei Drehungen um eine Achse, fünf um eine andere, sieben um wieder eine andere, anfangs langsam, aber mit stetig zunehmender Geschwindigkeit.
In eine nahe Wand war ein quadratischer Plasmabildschirm mit einem Durchmesser von hundertfünfzig Zoll mit hoher Auflösung eingelassen. Ein farbenfroher Ultraschallbildschirm zeigte die Bewegung des Bluts durch die Zerebralvenen und -arterien von Randal sechs, aber auch die feinsten Strömungen seiner zerebrospinalen Flüssigkeit, während sie zwischen der Hirnhaut, durch die Zerebralventrikel und im Hirnstamm zirkulierte.
Victor hatte den Verdacht, mit sorgfältig kalkulierten Anwendungen extremer Zentrifugal- und Zentripetalkraft könnte er in Zerebralflüssigkeiten unnatürliche Bedingungen schaffen, die seine Chancen erhöhen würden, Randals durch den Autismus geprägte Hirnwellen so umzuformen, dass sie den elektrischen Mustern eines gesunden Gehirns entsprachen.
Als die Maschine sich schneller und immer schneller drehte, eskalierten das Stöhnen und das wortlose Flehen des zu Tode Erschrockenen zu gepeinigten und gemarterten Schreien. Ohne den Keil in Randals Mund und den Kinnriemen wäre das Kreischen lästig gewesen.
Victor hoffte, einen Durchbruch zu erzielen, bevor er den
Jungen bis zur Zerstörung testete. So viel Zeit wäre vergeudet gewesen, wenn er bei Randal sieben noch mal ganz von vorn anfangen müsste.
Manchmal biss Randal so fest und so lange auf den Gummikeil, dass seine Zähne bis zum Gaumen darin versanken; dann musste der Keil stückweise aus seinem von Maulsperre befallenen Kiefer herausgeschnitten werden. Es klang ganz so, als könnte es heute wieder einmal so weit sein.
37
Ein weißer Lattenzaun stieß auf weiße Torpfosten, in die Muscheln eingelegt waren. Das Tor selbst trug ein Einhornmotiv.
Unter Carsons Füßen funkelte der Gehweg zur Haustür wie verzaubert, da die Glimmersprenkel in den Steinplatten das Mondlicht reflektierten. Moos zwischen den Steinen dämpfte ihre Schritte.
Die Blüten des Magnolienbaums verströmten ihren Duft fast greifbar wie Girlanden in die Luft.
Die Fenster des Märchenland-Bungalows wurden von blauen Fensterläden flankiert, aus denen Sterne und Mondsicheln herausgeschnitten waren.
Die Veranda vor dem Haus wurde zum Teil von Spalieren umschlossen, an denen sich belaubte Ranken mit purpurnen Trompetenblumen emporwanden.
Kathleen Burke, die in dieser kleinen Oase der Phantasie lebte, war Polizeipsychiaterin. Ihre Arbeit verlangte Logik und Vernunft, aber in ihrem Privatleben zog sie sich in einen sanften Eskapismus zurück.
Um drei Uhr morgens drang kein Licht aus den Fenstern. Carson läutete und klopfte gleich darauf an die Tür.
Im Innern breitete sich ein weicher Lichtschein aus, und schneller als Carson erwartet hatte, öffnete Kathy die Tür. »Carson, was ist los, was ist passiert?«
»Wir haben Halloween im August. Ich muss mit dir reden.«
»Mädchen, wenn du eine Katze wärst, würdest du jetzt einen Buckel machen und den Schwanz einziehen.«
»Du kannst froh sein, dass ich nicht die Hose voll habe.«
»Wie gewählt du dich ausdrückst. Vielleicht hast du schon zu lange Michael als Partner. Komm rein. Ich habe gerade Haselnusskaffee gekocht.«
Als sie eintrat, sagte Carson: »Ich hatte nirgends Licht gesehen. «
»Es brennt nur hinten in der Küche«, antwortete Kathy und ging voran.
Sie war attraktiv, Ende dreißig, so dunkel wie Melasse und hatte asiatische Augen. In einem chinesisch-roten Pyjama mit Stickereien auf den Manschetten und dem Kragen gab sie eine exotische Figur ab.
In der Küche stand ein dampfender Becher Kaffee auf dem Tisch. Daneben lag ein Roman; auf dem Einband ritt eine phantasievoll kostümierte Frau einen fliegenden Drachen.
»Liest du immer um drei Uhr morgens?«, fragte Carson.
»Ich konnte nicht schlafen.«
Carson war zu aufgekratzt, um sich zu setzen. Sie lief nicht in der Küche auf und ab, sondern sprang geradezu vor und zurück. »Du bist hier zu Hause, Kathy, nicht in deinem Büro. Das macht einen Unterschied – stimmt’s?«
Während sie ihr einen Kaffee einschenkte, entgegnete Kathy: »Was
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