Das Gespenst der Nacht
sofort bei Liane, legte einen Arm um ihren Hals und zeigte so, wem sie gehörte. Zudem brachte sie ihren Kopf recht nahe an Lianes Hals und zischte: »Sie wird bei mir bleiben!«
»Wird sie nicht«, sagte Johnny.
»Doch, das wird sie.«
»Nein!«
Melissa Hunter lachte. »Willst du hier was zu sagen haben? Dein Maul sollte eigentlich geschlossen bleiben. Also halt dich daran.«
Johnny erstickte fast an seinem Zorn. So etwas zu erleben, das passte ihm ganz und gar nicht.
Und dann gab es da noch Liane Bradford. Sie tat nichts, gar nichts.
»Und jetzt werden wir beide verschwinden!«, stieß Melissa Hunter hervor. »Sollte euch noch etwas einfallen, was mir nicht gefällt, reiße ich ihr das hübsche Gesicht auseinander.«
Es waren harte Worte, die Sheila Conolly zusammenzucken ließen.
»Sie meint es ernst, Ma«,flüsterte Johnny.
»Ja, das denke ich auch«, erwiderte Sheila gepresst. »Wir sind hilflos. Was können wir hier überhaupt tun? Wir haben keine Waffe, Johnny. Deine liegt im Tresor.«
»Es war ein Fehler.«
»Kommt darauf an …«
Melissa und Liane hatten sich bisher nicht bewegt. Sie standen da wie zwei Statuen. Liane hatte alles versucht und verloren. Johnny glaubte nicht daran, dass sie so schnell befreit werden konnte. Und schon gar nicht von ihm oder seiner Mutter.
Aber womit wurde Liane bedroht?
Die Blutsaugerin hielt kein Messer in der Hand und auch keine Pistole. Sie bedrohte die Sängerin einzig und allein durch ihre Anwesenheit. Außerdem war es gar nicht so leicht, einem Menschen das Gesicht zu zerreißen.
Johnny murmelte etwas.
Seine Mutter hatte seine Reaktion bemerkt. »Was hast du gesagt?«, flüsterte sie.
»Noch haben wir nicht verloren.«
»Was meinst du?«
»So wie ich es sagte.«
»Was willst du tun?«
»Noch nichts.«
»Tu nichts Falsches.«
»Keine Sorge.«
Melissa Hunter hatte sich noch immer nicht bewegt. Sie schien auf etwas zu warten. Dann wandte sie sich an Johnny und fragte zischend: »Kannst du mit einem Auto fahren?«
»Ja.«
»Dann wirst du uns fahren.«
»Wie schön. Wohin denn?«
»Das wirst du alles noch erfahren. Du kannst erst mal einsteigen, dann sehen wir weiter.«
»Gut.«
»Komm her. Aber denk nicht mal daran, irgendwelchen Scheiß zu machen, klar?«
»Verstanden.«
Sheila fragte: »Du weißt, wo der Schlüssel liegt?«
»Sicher. Neben der Tür in der obersten Lade.«
»Genau.«
Dort stand ein Schrank, der mehr hoch als breit war. Mehrere Schubladen teilten ihn auf. Es waren die üblichen Kramschubladen, die wohl jeder hat. Und in einer bewahrte Sheila auch ihre Schlüssel für den Golf auf.
Johnny setzte sich in Bewegung. Er ging langsam, beinahe schon provozierend. Fast in Griffweite blieb er vor den beiden stehen und nickte ihnen zu.
Die Blutsaugerin lachte. Zwei Hände hielten die Geisel fest. So hart, dass sie sich nicht befreien konnte. Zum einen am Arm in Höhe des Ellbogens, zum anderen am Hals. Dort drückten die Finger hart in das Fleisch hinein.
»Hast du den Wagenschlüssel?«
»Nein.«
»Dann hol ihn.«
»Das hatte ich soeben vor.« Johnny deutete mit einer Kopfbewegung auf den höheren Schrank. »Darf ich?«
»Das ist kein Problem.«
Johnny nickte. Er versuchte zudem, einen Blick der Geisel zu erhaschen, doch dabei hatte er Pech. Liane hielt den Kopf gesenkt und schaute zu Boden.
Johnny zog die Schublade auf. Jetzt eine Waffe dort liegen zu haben, das wäre ein Traum gewesen. Leider tat das Schicksal Johnny den Gefallen nicht. Er fand den Autoschlüssel für den Golf, und das war auch alles. Er hob den Schlüssel an. »Alles klar?«
Melissa Hunter nickte. »Ja, so weit schon, und jetzt werden wir eine Spazierfahrt unternehmen. Du wirst alles vorsichtig angehen, und denk immer daran, dass ich für dich unbesiegbar bin.«
Johnny nickte nur. In Gedanken fügte er hinzu: Das werden wir noch herausfinden.
»Ich weiß, dass der Wagen draußen vor der Garage steht, es gibt keine Ausreden.«
»Stimmt.«
Melissa Hunter grinste scharf. »Dann wirst du jetzt hingehen, das Auto öffnen und einsteigen. Dann wirst du auf uns warten. Ist das alles klar für dich?«
»Ja.«
»Dann hau jetzt ab!«
Johnny wusste, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Er musste gehorchen, wenn er Liane nicht in Gefahr bringen wollte. Aufgegeben hatte er trotzdem noch nicht. Es konnten sich immer wieder Gelegenheiten ergeben, den Spieß umzudrehen.
Er ging und zog die Haustür auf.
Er ließ seine Mutter und die beiden anderen Frauen
Weitere Kostenlose Bücher