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Das Geständnis der Amme

Das Geständnis der Amme

Titel: Das Geständnis der Amme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Krohn
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verstehe dich doch so gut … Du wolltest hinaus aus deinem kleinen, erbärmlichen Leben … genauso wie ich. Aber ich darf es dir doch nicht gestatten, Balduins Leben zu zerstören, ich darf es nicht!«
    Sie unterdrückte ein Schluchzen, aber ihre Kehle wurde so eng, dass sie nicht weiterreden konnte.
    »Vergib mir, Madalgis«, murmelte sie. »Vergib mir. Ich stünde so gern auf deiner Seite, aber ich kann es nicht …«
    Sie ließ ihren Blick nicht von dem Gesicht der jungen Frau weichen, als wäre sie es ihr schuldig, sie anzusehen, sie wahrzunehmen, wo doch so viele sie nicht beachtet hatten. Genau genommen hatte nur Judith sie gesehen – Judith, die nie erfahren durfte, was sie Madalgis angetan hatte, was sie noch tun würde.
    »Glaub mir«, flüsterte sie dem ohnmächtigen Mädchen zu, »du wirst nicht einfach vom Erdboden verschwinden. Judith wird um dich trauern, sie wird ehrlich um dich trauern …«
    Sie saß mit Madalgis auf dem Boden, bis die Sonne nur mehr glühte, aber keine warmen Strahlen mehr auf die Erde senkte. Dann erhob sie sich, um aus Schlafmohn, Bilsenkraut und Alraune einen tödlichen Saft zu brauen.

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XXXIX. Kapitel
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    Mehrere Monate später
    Judith war sehr tapfer. Sie kämpfte darum, ihre Beherrschung zu wahren, auch wenn das zunehmend aussichtsloser wurde. Ihr verzerrtes Gesicht, ihre zusammengekniffenen Augen bekundeten immer unverhohlener die Schmerzen, die in ihrem Leib tobten. Als schließlich die Hoffnung schwand, sie könnten nach einigen Stunden, höchstens einem Tag ausgestanden sein, wurde ihre Willenskraft brüchig. Ein Wimmern trat über ihre Lippen, und kaum hatte dieses vermocht, sich Bahn zu brechen, folgten ihm andere, viel gequältere Laute: ein heiseres Schreien, ein ächzendes Stöhnen. Irgendwann rissen sie nicht mehr ab – desgleichen wie die Wehen, die anfangs in sehr großen Abständen den schmalen Leib geschüttelt hatten, nun nicht mehr aufzuhören schienen und fortwährend das Kindlein in der warmen, roten Höhle beschworen, es möge nun endlich seinen Gang in die Welt antreten. Doch Judith gab das Kindlein nicht her, verkrampfte sich immer mehr und presste einzig Blut, rotes, kräftiges zu Beginn, schwarzes, klebriges zuletzt.
    Balduin, den man von der Gebärenden getrennt hatte, schien auch durch die verschlossene Tür hindurch vom Zustand seiner Frau zu ahnen.
    Als Johanna einmal kurz nach draußen trat, um ein Gebräu aus Haselwurz, Sadebaum und Raute herzustellen, das die Wehen verstärken und die Geburt beschleunigen sollte, stürmte er auf sie zu. »Es ist … es ist etwas nicht in Ordnung, nicht wahr? Ich sehe es an deinem Gesicht. Sie ist zu schwach … zu ausgezehrt.«
    Fast traumwandlerisch langsam wandte sich Johanna zu ihm,in ihrem Gesicht lag ein Ausdruck tiefster Furcht. Seit Judith nicht länger um Beherrschung rang, sondern in einem fort schrie, verging sie geradezu vor Angst.
    »Es ist das erste Kind«, stammelte sie, »da dauert’s oft am längsten.«
    Sie konnte Balduin ebenso wenig beschwichtigen wie sich selbst. In den langen Monaten von Judiths Schwangerschaft hatte sie sich von ihr ferngehalten – nicht mehr wie früher aus Missachtung oder aus Verbitterung über deren Glück, sondern schlichtweg aus Argwohn, dass der Dämon, der ihr stets auf den Schultern hockte und sich aus ihren Sünden nährte, auf die junge Frau aufmerksam werden könnte. Womöglich würde er ein Mittel finden, Johanna noch mehr zuzusetzen als nur mit einem schlechten Gewissen.
    Jenes verfolgte sie seit Madalgis’ Tod – viel hartnäckiger als die Schuld, nachdem sie Joveta in die Tiefe gestürzt hatte, und viel nackter als der Schrecken, nachdem sie ihr Kind verloren hatte. Irgendwie hatte sie damals weitermachen können, hatte Pflichten gefunden, mit denen sich die Tage ausfüllen ließen, hatte sich Ziele gesteckt. Nun lahmten ihre Gedanken wie ihre Kräfte. Stunden brachte sie damit zu, sich auszurechnen, was alles geschehen müsste, damit sie ausreichend Sühne geleistet hätte. Bis dahin war ihr dieser Gedanke, den die Priester so gerne den Menschen einimpften, immer fremd gewesen; nie hatte sie recht verstanden, wie jemand jahrelang fasten konnte oder stundenlang auf harten Steinen kniend beten, um Buße zu tun. Jetzt nahm sie jede Widrigkeit des Lebens nur allzu gern in Kauf, um sie gegen die Verbrechen aufzuwiegen, die sie begangen hatte.
    Den steten Regen auf ihrer Reise von Laon nach Brügge, wo Balduin fortan residieren sollte, nahm sie fast

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