Das Geständnis der Amme
geschmeidig wird. Und wenn du das Köpflein siehst, so musst du es ein wenig drehen. Du darfst nicht vergessen, dabei das Gesicht des Kindleins zu schützen, und dann ziehst du es vorsichtig heraus. In dem Augenblick darf Judith nicht mehr pressen. Gebt ihr noch ein wenig von der Kräuterbrühe, oder besser noch: lasst deren Dampf auf ihre Scham strömen – und dann bindet ihr Ackermennig um die Oberschenkel.«
»Warum sagst du das mir?«, fragte die Frau verwirrt. »Du bist doch hier, und du verstehst es als Einzige …«
»Ich kann mich jetzt nicht um sie kümmern«, sagte Johanna. »Wenn wir den Blutfluss nicht stoppen, wird sie sterben – gleich, ob sie das Kind zuvor auf die Welt bringt oder nicht. Ich muss zusehen, dass ich ein Kraut dagegen finde, ich …«
Sie hatte sich abgewandt und drehte sich nicht noch einmal um, als sie den Raum verließ, weder um sich zu vergewissern, dass ihren Anweisungen Folge geleistet wurde, noch um sich von Judith zu verabschieden. Und es war ein Abschied.
Wieder stürzte ihr Balduin entgegen. »Und?«, bedrängte er sie. »Wie geht es ihr? Wird sie …«
Johanna hob beschwichtigend die Hände. »Wenn Gott gerecht ist, wird sie es schaffen …«
Hastig ging sie an ihm vorbei, und er hielt sie nicht auf, denn er dachte, sie würde neue Medizin holen. Doch als sie schließlich in der kleinen Kammer stand, in der sie ihre Kräuter trocknete –lange war es ihr hier nicht gelungen, denn vermodert wie der Garten waren die Wände, und in der feuchten Luft waren viele ihrer Wurzeln und Kräuter verschimmelt –, suchte sie nichts, was Judiths Elend lindern könnte. Sie durchstöberte ihre kleinen Ledersäckchen und fand jene, die Schlafmohn, Bilsenkraut und Alraune bewahrten.
Sie blickte auf die Pflanzen.
»Ach Madalgis«, seufzte sie, und es war ihr, als würden diegelblichen Katzenaugen in diesem Augenblick auf sie gerichtet sein. »Ach Madalgis, es tut mir so leid …«
Damals, in Verberie, hatte alle Welt ihrer Erklärung geglaubt. Dass Madalgis gestürzt wäre, hatte sie berichtet, dass sie so unglücklich gefallen wäre, dass es in ihrem Kopf zu bluten begonnen hätte … Alles, alles hätte sie versucht, sie zu retten, doch manchmal käme der kleine Mensch gegen den Willen des Allmächtigen nicht an.
Auch nun erwies sich der Wille des Allmächtigen als stärker –aber sie wollte ihn nicht hinnehmen, wollte nicht aufgeben, mit Ihm zu handeln, auch wenn sie das Teuerste als Einsatz zu erbringen hatte.
Sie murmelte vor sich hin, als wäre das, was sie sagte, ein geheimnisvoller Zauberspruch.
»Ich habe mein Kind getötet«, begann sie. »Ich habe es zwar nicht gewollt, habe in diesem Augenblick nicht bedacht, was ich tue. Aber ich habe es getötet. Ob mit Zutun der Normannen oder nicht, es ist meine Schuld. Ja, ich habe es getötet, damit ich leben konnte. Jetzt aber will ich, dass das Kindlein lebt. Ja, es soll leben.«
Sie braute den Schlaftrunk, kniff die Augen zusammen, als sie davon nahm – und als sie sie wieder öffnete, war sie frei von Angst, Trauer und Hader.
Epilog
Brügge, A.D. 864
Es wurde kalt, immer kälter, obwohl ihre Haut glühte und ihre Pupillen – dies war eine Wirkung des Bilsenkrauts – erweitert waren. Balduin war zurückgekehrt, hatte sie aus der kleinen Kammer getragen, in die Nähe des wärmenden Feuers. Doch sie spürte weder seinen Griff noch den hitzigen Schein der Flammen. Sämtliche Muskeln wurden so steif wie ihre Knochen.
»Es lebt«, hörte sie Balduin sagen. »Das Kind lebt – und Judith auch. Wir haben einen Sohn bekommen, er wird meinen Namen tragen.«
Sie konnte nichts mehr sagen, seufzte nur erleichtert.
Als das Bild vor ihren Augen zu flackern begann, nicht wegen der unruhigen Flammen, sondern der eigenen zuckenden Lider, hörte sie in der Ferne das kieksende Geschrei eines Neugeborenen. War es Balduins Sohn, der da schrie? Oder ihr eigener? War es der Klang der Engel?
Das eben noch dunkelrote Feuer, vor dem sie lag, wurde zum gleißenden Licht, alle Schmerzen klangen ab, alle Schwere. Ohne jegliche Fessel ihres Leibes konnte sie sich erheben, zum Feuer treten. Sie mied die rote Glut nicht mehr, sie griff hinein, hob ihr Kind heraus, legte es an ihre Brust. So unglaublich warm und wohlig wurde ihr, so unglaublich …
»Johanna …«
Jetzt war es plötzlich Balduins Kopf, der auf ihrer Brust lag. Sie presste ihn an sich, stammelte seinen Namen, weich und zärtlich. All das Herrische und Harte war von ihr
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