Das Geständnis der Amme
ruhte.
»Madalgis«, versuchte sie ein letztes Mal die andere zu beschwichtigen. »Madalgis, ich bin zu alt, um Kämpfe zu führen. Und ich will es auch gar nicht, ich sehe keinen Sinn darin. Ich sagte doch schon, Judith ist die Frau, die zu Balduin …«
Diesmal war es Madalgis, die auf sie zutrat, sie an den Schultern packte, ihre Nägel hineinkrallte. Sie begann sie zu schütteln.
»So leicht kommst du mir nicht davon, Johanna, so leicht nicht! Du kannst dich nicht einfach zurücklehnen und deinenKampf für beendet erklären. Er ist nicht verloren, nicht für mich. Ich gebe Judith nicht auf!«
Lange war Johannas Verständnis für die andere echt gewesen, ihr Bemühen, sie zu trösten, sie zu beschwichtigen. Nun, da sich deren Hände immer tiefer in ihr Fleisch krallten, begann sie sie zu ärgern. »Judith nicht aufgeben! Pah! Du hast ja den Verstand verloren, Madalgis!«, gab sie rüde zurück. »Du bist nicht richtig im Kopf!«
»Willst du mir nun auch noch sagen, dass ich zu nichts tauge? So wie mein Vater es mir vorgeworfen hat?«
»Lass mich los, Madalgis, oder …«
»Oder was?«
»Wer von uns beiden, denkst du, ist die Stärkere?«
Johanna war nicht so weit, um den Beweis anzutreten, dass sie es wäre. Madalgis jedoch zögerte nicht, ihre Kraft zu zeigen. Mit einer heftigen Bewegung stieß sie Johanna von sich, sodass jene strauchelte und auf den Boden fiel. Ihre Knochen knackten schmerzhaft.
»Wie ich schon sagte«, schimpfte Johanna erbost. »Du bist krank im Kopf! Das warst du schon immer!«
Mit einem Aufschrei stürzte sich Madalgis auf sie. »Wag nicht, so etwas zu sagen! Du bist die Kranke, die Verrückte! Du … du warst es, die Joveta ermordet hat! Ja, du hast sie ermordet, du hast sie mit Absicht über die Felswand gestürzt, ich habe es genau gesehen, ich kann es bezeugen, und das werde ich auch tun.«
Diesmal war Johanna auf Madalgis’ Attacke vorbereitet. Sie rollte zur Seite, noch ehe sich die junge Frau auf sie stürzen konnte, erhob sich – zwar unter Schmerzen, aber doch schnell genug – und packte sie von hinten. Madalgis schrie vor Schmerzen auf, als Johanna ihr den Arm verbog, aber ihre Tirade ließ nicht nach.
»Ich habe einst nur für dich gelogen, weil du meine Verbündete warst. Aber ich werde nicht weiter lügen. Ich werde der ganzen Welt die Wahrheit sagen! Was glaubst du, wird Balduin von dirhalten, wenn er erfährt, dass du eine eiskalte Mörderin bist? Und Judith erst! Mörderin, Mörderin!«
Johanna verstärkte ihren Griff. »Hör auf, so zu brüllen!«
»Habe ich etwa Unrecht? Du Mörderin, Mörderin!«
Johanna merkte, wie ihre Kräfte nachließen. Nicht mehr lange würde sie die junge Frau im Zaum halten können. Nicht nur der sich windende Körper setzte ihr zu, auch ihre Worte. Nicht Jovetas Gesicht stieg vor ihr auf, sondern das ihres Kindleins … und wie es in die Flammen rollte.
»Mörderin, Mörderin!«
»Sag das nicht …«
»Mörderin, Mörderin!«
Da wusste Johanna, dass ihre Worte nicht reichten, dass sie mit ihren Bitten die Tobende nicht zum Schweigen bringen konnte.
»Ach, Madalgis …«, seufzte sie, nicht länger erbost, sondern einfach nur hilflos.
Sie bog Madalgis’ Arm noch weiter nach hinten, doch die Schmerzen schienen das Mädchen nicht zu erreichen. Fortwährend kreischte es dasselbe: »Mörderin, Mörderin!«
Du nicht, dachte Johanna, und sämtliche Gedanken wurden nüchtern, du nicht. Du stellst dich nicht zwischen Judith und Balduin. Und nicht zwischen Balduin und mich. Du nicht. Du nicht …
»Ach Madalgis«, seufzte sie, und diesmal klang es nicht traurig, sondern einfach nur entschlossen.
Dann atmete sie kräftig ein, sammelte alle verbliebenen Kräfte, änderte blitzschnell ihren Griff – und rammte Madalgis’ Kopf mit aller Macht gegen die kleine Mauer, die den Garten umgab.
Das Mädchen war ohnmächtig, so viel stand fest. Sie schrie nicht mehr, sie regte sich nicht mehr, aber sie atmete noch, tief und regelmäßig. Über ihre Stirne floss eine schmale Blutspur, ihre Augen waren halb geöffnet. Sie glänzten nicht gelblich wie sonst, sondern waren von sattem Braun.
Johanna, die neben Madalgis auf den Boden gesunken war, erhob sich nicht sofort. Sie blieb neben dem erschlafften Körper hocken, zog ihn schließlich auf den Schoß und begann ihn sanft zu wiegen wie ein kleines Kind, das sie beruhigen wollte.
»Ich verstehe dich doch«, sagte sie leise. Sie klang nicht länger nüchtern, sondern jammervoll. »Ich
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