Das Gewicht der Liebe
sie.«
»Haben Sie mit Merell darüber gesprochen, was geschieht, wenn ihre Mutter schuldig gesprochen wird?«
»Nein.«
»Ich werde Ihnen jetzt eine Frage stellen und würde gern Ihre Meinung als Vater dieses Mädchens erfahren. Halten Sie es für möglich, dass Merell lügen würde, um ihre Mutter zu schützen?«
»Euer Ehren«, sagte David Cabot, »Merell Duran steht nicht unter Anklage, und Johnny Duran wurde nicht als Sachverständiger eingeladen.«
»Stimmt.« Richter MacArthur nahm seine Brille ab, musterte prüfend die Gläser und reichte die Brille dann zum Putzen an seinen Gehilfen weiter. »Nichtsdestotrotz ist er der Vater des Mädchens, und ich werde diese Frage zulassen.«
»Mr. Duran, würde Merell das Gericht belügen, wenn sie glaubt, sie könne ihre Mutter dadurch vor dem Gefängnis bewahren?«
»Nein«, sagte Johnny. »Selbstverständlich nicht.«
Jackson blieb einen Moment lang völlig reglos. Dann wandte er den Blick den zwölf Männern und Frauen auf der Geschworenenbank zu, obwohl seine Bemerkung an Johnny gerichtet war. »Vielleicht kennen Sie Ihre Tochter nicht so gut, wie Sie glauben, sie zu kennen.«
18
R ichter MacArthur vertagte die Verhandlung bis zumnächsten Montag, wenn die Schlussplädoyers gehalten werden würden.
Roxanne ging direkt nach Hause und schloss die Tür des Bungalows hinter sich ab. Sie entschuldigte sich bei Chowder, weil sie heute nicht mehr mit ihm Gassi gehen würde. Ty kam nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Labor zurück und wurde von zwei Reportern belästigt, die aus ihren vor dem Haus geparkten Autos heraussprangen, aber am Samstag schlugen Roxanne und Ty den Reportern ein Schnippchen, indem sie sich bereits frühmor gens aus dem Haus stahlen. Sie fuhren in die Laguna Mountains und gerieten in Regen, als sie den Pfad zur alten Silbermine entlangwanderten. Sie legten sich neben dem Pfad ins Gras und ließen den Regen auf sich niederprasseln, bis sie völlig durchnässt waren, und rannten dann frierend und lachend die halbe Meile zum Auto zurück, um sich aufzuwärmen. Am Sonntag machte Ty ein Feuer und kehrte aus Theo’s Bakery mit Schokoladencroissants und der New York Times zurück. Sie lasen jede Seite, selbst die Hochzeitsanzeigen mit den hoffnungsvollen Fotos. Am Abend sahen sie sich Unterhaltungssendungen an und unterhielten sich über die Skandale von Prominenten, als wären sie ein Paar, dessen Leben so wenig Dramatik enthielt, dass es sich mit Hollywood-Klatsch beschäftigte.
Roxanne konnte sich kaum erinnern, wann sie zuletzt mit Ty wegen Simone gestritten hatte. Obwohl sie sich ihrer Schwester immer noch nah fühlte und während der Verhandlung manchmal eine außergewöhnlich starke Empathie verspürt hatte, hatte die katastrophale Wahrheit, die durch Simones Verbrechen ans Licht gekommen war, das lebendige, atmende Band durchschnitten, das die Schwestern verbunden hatte. Inzwischen konnte niemand mehr in der Familie so tun, als seien Simones Trieze-Männchen nur eine unbedeutende Marotte. Ein für alle Mal waren die Zeiten vorbei, in denen sie sich vormachen konnten, dass Simone einfach nur eine gestresste Mutter von vielen war, wie man sie in Supermärkten sah, wenn sie voll beladene Einkaufswägen durch die Gänge schoben und Kinder in und aus Kleinbussen und Autos scheuchten.
Roxanne konnte nichts mehr für Simone tun, außer sie zu lieben und ihr beizustehen. Und trotzdem fühlte sie sich nicht völlig frei, konnte ihre Schuldgefühle nicht abschütteln. Von ihrem neunten Lebensjahr an bis zu der Zeit, als sie Elizabeth kennenlernte, hatte sie für Simone gesorgt, weil sie dachte, ihr bliebe keine andere Wahl. In gewisser Weise war sie nun für Simones Tat mitverantwortlich. Das sichere Wissen darum löste einen Krampf in ihrem Herzen aus, der sie unerwartet überfiel, ihr mit seiner Heftigkeit die Luft abschnürte. Sie machte sich nicht die Mühe, deswegen einen Arzt aufzusuchen. Sie beklagte sich auch nicht bei Ty. Sie kannte die Ursache.
Am Montag hörte Roxanne nicht viel von Jacksons und Cabots Schlussplädoyers. Manchmal erregte ein bestimmtes Wort oder eine bestimmte Betonung ihre Aufmerksamkeit, aber sie saß schon lange genug auf ihrem Platz im Gerichtssaal, hatte genug gehört, um zu wissen, dass weder das stümperhafteste noch das eloquenteste Schluss plädoyer Simone retten könnte.
Doch kurz bevor David mit seinem Schlussplädoyer am Ende angelangt war, ließen seine Worte sie aufmerken.
»Simone Duran hörte keine
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