Das Gewicht der Liebe
sie doch mit den Kindern nicht allein lassen.«
»Wie hat Simone auf diesen Vorschlag reagiert?«
»Sie ist in Panik geraten. Sie mag meine Schwester nicht.«
»Warum nicht?«
»Sie sagte, wenn Alicia erst einmal da wäre, würde sie nie wieder weggehen.«
Cabot wandte sich der Jury zu und unterbrach seine Zeugenvernehmung, ließ Johnnys Aussage auf die Geschworenen wirken.
»Haben Sie, Ihre Frau betreffend, irgendwann einen Rat eingeholt?«
»Ich habe mit ihrem Arzt gesprochen und mit meiner Mutter und meinen Schwestern, und sie haben mir erzählt, dass viele Frauen nach Fehlgeburten und Babys depressiv werden. Alle sagten dasselbe. Mit der Zeit würde Simone darüber hinwegkommen, meinten sie.«
»Tatsächlich verschlimmerte sich der Zustand Ihrer Frau. Dennoch sind Sie nicht zu einem Psychiater oder Therapeuten gegangen. Warum?«
Johnny schlug die Beine übereinander und wieder auseinander.
»Ich komme aus einer Familie, in der Probleme nicht nach außen getragen wurden. Es sei denn, es war etwas Medizinisches. Diese Sache war … privat.«
»Fürchteten Sie, ein Arzt könnte die Situation eher verschlechtern?«
»Ja.«
»Mr. Duran, ich möchte, dass Sie der Jury mitteilen, inwiefern Ihrer Ansicht nach ein Arzt Ihre Familiensituation hätte verschlechtern können.«
Einige Sekunden verstrichen.
Johnny räusperte sich. »Damals, als sie diese Fehlgeburten hatte, gab ihr der Arzt Tabletten.«
»Machten die Tabletten sie weniger depressiv?«
»Das weiß ich nicht.«
»Ihre Aufmerksamkeit war auf etwas anderes konzentriert, richtig?«
Johnny starrte auf die Wand hinter den Zuschauerreihen. Roxanne wusste, dass dort über der Tür eine Uhr hing. Sie stellte sich vor, wie er die Sekunden vorbeiticken sah.
Cabot sagte: »Euer Ehren, würden Sie Mr. Duran bitte darüber belehren …«
»Sie brauchen mich nicht zu belehren«, sagte Johnny, die Schultern straffend. »Ich werde es sagen. Ich muss hier nicht den Helden spielen. Diese Pillen machten sie frigide. Das gefiel mir nicht.«
Hinter Roxanne flüsterte eine Frau etwas, das wie »Arsch loch« klang.
Cabot hatte der Familie erklärt, dass die Jury in einem Fall, bei dem es um Gewalt gegen Kinder ging, unbedingt einen Schuldigen brauchte, der jedoch nicht unbedingt der Beklagte sein musste. Sie brauchten jemanden, den sie verantwortlich machen konnten, und Johnny war diese Rolle übertragen worden.
»Haben Sie je daran gedacht, keine Kinder mehr zu haben? Mittel zur Empfängnisverhütung zu benutzen?«
»Ich wollte einen Sohn.«
»Hat Mrs. Duran protestiert, weil Sie keine Empfängnisverhütung betrieben?«
»Nein.«
»Sie war gefügig? Unterwürfig?«
»So könnte man das vermutlich ausdrücken.«
»Und Sie wollten das auch nicht anders haben, oder?«
»Nein.«
Johnny war vor der Jury so nackt und bloß, wie Roxanne ihn noch nie gesehen hatte. Der Stolz, den er aus seinem Reichtum und den einflussreichen Freunden bezog, wirkte jetzt wie der mitleiderregende Versuch, eine tiefgreifende Unsicherheit zu kompensieren. Von heute an würde es keine Einladungen mehr zu Golf und Tennis mit seinen mächtigen Freunden geben, am Tisch des Bürgermeisters würden keine Plätze für ihn reserviert sein, und der Polizei chef würde auf seine Anrufe nicht reagieren. Johnny hatte Cabots Fragen mit rückhaltloser Ehrlichkeit beantwor tet und der Jury – wie auch der Presse und der Öffentlichkeit – einen Sündenbock geliefert, den man anstelle von Simone verabscheuen konnte.
Cabot setzte sich. »Ich habe keine weiteren Fragen mehr, Euer Ehren.«
Während seines Kreuzverhörs brachte Clark Jackson den 911-Notruf wieder zur Sprache. »Der Versuch, Ihrer beider Baby Olivia zu ertränken.«
»Einspruch, Euer Ehren! Die Berichte über den Vorfall wurden dem Gericht vorgelegt. Es findet sich kein Hinweis auf versuchtes Ertränken. Die Staatsanwaltschaft ver sucht, die Jury hinsichtlich der Ereignisse jenes Tages irrezuführen.«
»Stattgegeben. Jury, Sie werden Mr. Jacksons letzte Frage ignorieren.«
Johnny platzte heraus: »Wie oft wollen Sie das denn noch hören? Merell hat die Geschichte erfunden. Sie steht gern im Mittelpunkt, sie probiert gern Dinge aus.«
»Kommen Sie, Mr. Duran, Sie waren ja gar nicht dabei. Sie haben nicht tatsächlich gesehen, was passiert ist, oder?«
Johnny seufzte. »Nein, ich war nicht zu Hause.«
»Liebt Merell ihre Mutter, Mr. Duran?«
»Ja, natürlich.« Er blickte zu Simone hinüber. »Wir alle lieben
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