Das Gewicht der Liebe
Frauenbewegung, dachte aber nicht im Traum daran, dass sie auch in meinen eigenen vier Wänden Einzug halten würde.« Er schnaubte leise und schüttelte den Kopf. »Tja, da habe ich mich gründlich geirrt. Deine Mom ist eine Verkaufskanone, war es von Anfang an.« Er grinste Roxanne an. »Diese Frau könnte sogar die Brooklyn Bridge verscherbeln.
Und die Arbeit machte sie glücklich. Ich merkte, je mehr Geld sie verdiente, desto hübscher und glücklicher wurde sie. Gegen so einen Erfolg wollte ich nicht ankämpfen. Nur in einem Punkt stimmten wir nicht überein, und zwar darin, wie sie dir die Verantwortung für Simone übertrug. Ich hielt das dir gegenüber für unfair, und ich fand es auch für deine Schwester nicht gut.«
Roxanne faltete den Scheck einmal zusammen, legte die Ecken präzise übereinander.
»Aber je mehr ich den einen Aspekt betonte, desto stärker betonte deine Mom den anderen. Sie sagte, du seist die Einzige, die mit Simone umgehen könne. Zur Verdeutlichung fertigte sie sogar eine Liste an.« Er zählte die einzelnen Punkte mit den Fingern auf. »Sie hatte eine verzögerte motorische Entwicklung. Sie war launisch und hasste Wasser und bekam einen Anfall, wenn sie baden musste. Und sie hatte diesen Spleen mit ihren Füßen. Erinnerst du dich? Sie wollte nie barfuß gehen oder Sandalen anziehen. Weigerte sich, die Schuhe auszuziehen, es sei denn, man ver sprach ihr, ihren komischen kleinen Zeh nicht anzusehen.«
Ein gebrochener Zeh war krumm geheilt, und noch etliche Jahre danach hatte Simone geschworen, es sei gar nicht ihr Zeh. Sie behauptete steif und fest, auf der Unfallstation habe jemand ihr den alten Zeh abgenommen und durch diesen neuen ersetzt, der nicht richtig passte.
BJ leerte sein Glas, und ohne zu fragen, brachte ihm der Kellner ein neues. »Ich habe zu Johnny gesagt, du würdest da sein, wenn Simone Hilfe braucht, aber das wird wahrscheinlich nicht oft der Fall sein. Vielmehr glaube ich, dass ihr Hochzeitstag für dich dein ganz persönlicher Vierter Juli sein wird: Independence Day. Und zur Feier deines Unabhängigkeitstages und um dir Danke zu sagen …« Er tippte mit dem Zeigefinger auf den Scheck. »Ich weiß, du willst dir eines dieser Häuser in der Little Goldfinch Street kaufen. Das ist eine gute Investition. Mit diesem Betrag hättest du schon einmal eine Anzahlung.«
Roxanne faltete den Scheck auf und strich ihn auf der weißen Tischdecke glatt. Sie starrte auf die Zahl, die in BJ s nahezu unleserlicher Handschrift geschrieben war. Es war eine Fünf mit vier Nullen.
Am See regnete es den Großteil des Freitags und den ganzen Samstag über. Hin und wieder machte das Wetter eine Pause, und wenn die Wolken aufrissen, drang ein Sonnen strahl hervor, aber diese lichten Momente währten gerade lang genug, um kurz von einem Buch oder einem Puzzle oder einem Brettspiel aufzublicken, ehe die aufkeimende Hoffnung unter einem neuen Regenguss ertränkt wurde. Die Einzige, deren gute Laune nicht gedämpft zu sein schien, war Franny. Ihr Vorrat an Kreativität und Energie war offenbar unbegrenzt. Sie machte Schüsseln voller Pop corn und töpfeweise heiße Schokolade, die eine drei Zenti meter dicke Schaumschicht aus geschmolzenen Marshmallows krönte. Sie zauberte von irgendwoher lange gegabelte Stöcke hervor, um im Kamin Hotdogs zu braten, sowie Graham-Vollkornkekse, Hershey-Schokoladentafeln und eine neue Packung Marshmallows, die Zutaten für ein traditionelles nächtliches Lagerfeuer, das nun nach drinnen und in den Tag verlegt wurde. Sie spielten ausgiebig Brettspiele und Monopoly. Als deren Zauber verblasste, baute Franny einen Handwerkstisch auf und brachte knallig bun ten Ton an, der die Zwillinge begeisterte.
Roxanne lag im großen Zimmer unter einer Steppdecke, las einen Krimi, der nicht viel Konzentration erforderte, und Johnny, der sich am anderen Ende des Zimmers auf einem Lehnstuhl ausstreckte, spielte irgendein Spiel auf seinem Handy, während Merell sich von hinten über seine Schulter lehnte und zuschaute. Simone bewegte sich unruhig vom Sessel zum Sofa und wieder zu einem anderen Sessel, starrte aus dem Fenster und blätterte flüchtig durch Klatschzeitungen. Für Ton interessiere sie sich nicht, sagte sie, bei dem Geruch drehe sich ihr der Magen um. Doch Roxanne gesellte sich zu den Mädchen und Franny, und so saßen sie nun zu viert am Tisch und modellierten Monstergesichter, die möglichst viel Angst und Schrecken erzeugen sollten. Die Zwillinge stießen
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