Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gewicht der Liebe

Das Gewicht der Liebe

Titel: Das Gewicht der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Campbell Drusilla
Vom Netzwerk:
davon.« Sie lachte, als sie daran dachte, wie dumm eines dieser mageren Models ausgesehen hatte, das in einem langen purpur roten Kleid auf dem Dach stand. »Daddy meint, wir sollen es nicht Haus nennen. Es ist ein Cottage, und das ganze Land drum herum, das ist das Anwesen.«
    Der Himmel war nun von Wolken verdunkelt, und es wehte ein kräftiger Wind. In der Mitte des Sees kämpften zwei Kajaks gegen den Wind an.
    »Wenn sie untergehen, sinken sie nach Vermillion hinunter. Das ist die Stadt unter Wasser. Daddy sagt, es gab mal einen alten Mann, der hier lebte, und als die Ingenieure kamen und ihm sagten, er müsste von hier fort, weil er sonst ertrinken würde, sagte er, dass ihm das egal ist. Also haben sie ihn hier gelassen. Mit seinem Hund und einem Esel. Jetzt liegen ihre Knochen alle am Grund des Sees.« Merell starrte auf das Wasser hinaus. »Ich denke nicht gern über ihn nach. Über das Ertrinken.«
    Roxanne nahm ihre Hand.
    Merell sagte: »Wenn ich dir ein Geheimnis verrate, würdest du mir versprechen, es niemandem weiterzuerzählen? Würdest du mir das schwören?«
    Den ganzen Tag über hatte sie über das Versprechen nachgedacht, das sie Gramma Ellen gegeben hatte, spürte es in ihrem Kopf wie eines von Mommys Trieze-Männchen. Eigentlich hatte sie das Versprechen gar nicht geben wollen und wünschte, sie wäre mutig genug gewesen, einfach wegzugehen, aus dem Zimmer hinaus in eines ihrer Verstecke, bis alle vergessen hätten, was am Pool passiert war, obgleich sie fürchtete, dass dies viele, viele Jahre dauern würde. Es war sehr anstrengend, ein wichtiges Geheimnis mit sich allein herumzutragen.
    »Merell, ein Geheimnis hat die Eigenschaft, dass es, sobald du es jemandem erzählst, kein Geheimnis mehr ist.«
    Merell stieß die Spitze ihrer Turnschuhe so fest in den Rasen, dass sie ein Büschel Gras heraushackte. Sie hielt den Atem an und wünschte sich ganz fest, Tante Roxanne möge ihre Meinung ändern und ihr versprechen, das Geheimnis für sich zu behalten. Doch eine Lehrerin änderte ihre Meinung so gut wie nie, selbst wenn sie eine Tante war.
    »Unten am Hafenbecken gibt es Höhlen. Magst du sie sehen?«
    »Ich bin nicht gerade wild auf Höhlen, Merell. Sie machen mich nervös.« Tante Roxanne blickte in den Himmel hinauf. »Außerdem sieht es nach Regen aus.«
    Merell ergriff ihre Hand und drückte sie leicht. »Es ist nicht gefährlich.«
    Sie erklärte, dass die Flüsse im Frühjahr, wenn der Schnee in den höheren Regionen schmolz, über ihre Ufer traten und das abfließende Wasser sich einen Weg grub und in Bächen an den Hängen hinunterströmte, sodass der Wasserpegel des Sees anstieg. Im Sommer sank der Pegel, da regelmäßig Wasser abgezogen wurde, um die Farmen im San Joaquin Valley zu bewässern. Am Labor Day war der Wasserpegel dann um etliche Meter niedriger als im Frühjahr.
    »Bei unserem letzten Besuch waren die Höhlen schon fast oberhalb des Wassers, aber ich konnte noch nicht hineinklettern. Jetzt geht das bestimmt. Also, willst du?«
    »Wir sollten nach Hause gehen, Merell.«
    Merell wusste, dass sie irgendwann eine Erwachsene sein würde, aber sie verstand das auf dieselbe Art, wie sie verstand, dass einmal ein Mann auf dem Mond gewesen war. Beides war wahr und gleichzeitig unmöglich. Um eine Erwachsene zu sein, würde sie wachsen und alle mög lichen Dinge lernen müssen, und das war gut so, aber sie würde auch Dinge aufgeben müssen. Sie wollte jedenfalls nie ein Mensch werden, der Angst hatte, etwas zu er kunden.
    Im Südwesten wirkten Blitze wie Nadeln goldene Fäden in die Sturmwolken, und das Grollen des Donners hallte von den Bergkuppen wider.
    Und sie wollte auch nicht erwachsen werden, wenn das bedeutete, dass man Angst hatte, im Regen nass zu werden. Daddy bezeichnete Berggewitter als Waschma schinen für die gefurchten Hänge, und Merell wusste, wie plötzlich sie kommen konnten. Dennoch wollte sie bleiben, wo sie war, im Peitschen des Windes, mit den tanzenden Blitzen über ihr, die ihren Mut auf die Probe stellen wollten. Die elektrisch aufgeladene Luft knisterte vor Möglichkeiten. Jede Sekunde konnte irgendetwas Spannendes geschehen.
    Sie konnte die Kajakfahrer nicht mehr sehen, aber am anderen Ufer kämpfte ein Segelboot damit, an Land zu gelangen. Vielleicht waren Kinder an Bord. Sie würden sich ängstigen, und Merell wusste, wie es war, wenn man Angst hatte. Nicht die lustige Art von Angst wie vor Gewittern und Höhlen; diese tief sitzende Angst, die ihr

Weitere Kostenlose Bücher