Das Gewicht der Liebe
mit diesem Mann war zu kostbar, um sie zu vergeuden.
Simone und Johnny waren um halb elf nach Hause ge kommen. Simone ging sofort ins Bett, ohne auch nur ein Wort an Roxanne zu richten. Aber Worte waren nicht nötig, wenn sie ihre Stimmung mit sich trug wie einen dichten schwarzen Umhang. Johnny erkundigte sich, ob die Kinder artig gewesen seien, und bedankte sich förmlich. Roxanne beobachtete ihn, wie er in der Küche stand und sich aus einer geeisten Flasche Wodka ein Glas einschenkte.
»Geht’s ihr gut?«
»Nein. Sie ist ziemlich niedergeschlagen. Womit wir schon zwei wären.« Er kippte ein zweites Glas Wodka hinunter. »Du hast es heute Nachmittag ja gesagt. Du hast dein eigenes Leben. Also geh nach Hause.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. »Ich rufe an.«
Chowder, der sich zu Tys Füßen zusammengerollt hatte, hob den Kopf und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden. Vorsichtig ging sie um Ty herum, stellte sein Glas weg und klappte sein Buch zu, die Stelle mit einem Post-it markierend.
»Du!« Er zog sie auf sich, gab ihr einen Kuss, der träge wurde und warm und tief. »Du bist wieder da.«
»Ich konnte es kaum erwarten, endlich wegzukommen.«
»So schlimm?«
»Merell fürchtet, man würde sie womöglich alle in ein Waisenhaus schicken. Was meinst du, woher sie das hat?«
»Wer weiß? Harry Potter?« Er ließ die Hand unter ihr T-Shirt gleiten. »Hast du vor, ins Bett zu gehen, oder sollen wir die ganze Nacht über die Durans reden?«
Sie hielt sein Handgelenk fest. »Ich muss dir erst noch etwas erzählen.« Sie beschrieb Ellens aufgelösten, betrunkenen Zustand, was diese ihr gestanden und woran sie, Roxanne, sich erinnert hatte.
»Ich dachte immer, sie hätte mich zu Gran geschickt, um mich loszuwerden, weil sie schlicht überfordert war. Jetzt weiß ich es besser … Sie wollte mich schützen.« Sie legte sich neben ihn, war zu müde, um sich auszuziehen. »Und ich glaube, deshalb hat sie mich auch von Gran wieder zurückgeholt und mir die Verantwortung für Simone aufgeladen. Sie wusste sich mit Simone keinen Rat mehr, ähnlich wie früher mit mir. Sie wollte, dass ich Simone vor ihr beschütze.«
»Diese Frau wäre ein hervorragender Werbeträger für den Muttertag.«
»Sie war einfach zu jung. Sie hatte ja selbst keine Ahnung, was los war. Und sie war klug genug, mich aus ihrer Nähe zu entfernen.« Unwillkürlich griff sie an ihr Ohr. »Es gibt Schlimmeres, als bei der Großmutter leben zu müssen.«
»Und ändert das irgendetwas an der jetzigen Situation?«
Sie setzte sich auf, ließ sich von Ty das T-Shirt über den Kopf ziehen. »Wo immer ich auch war, welches Leben ich auch führte, ich dachte immer, ich müsste mir alles, was gut ist, durch Wohlverhalten verdienen. Ich habe wohl nie aufgehört zu glauben, dass Mom mich immer noch aus meinem jetzigen Leben herausreißen und irgendwo abladen könnte, wenn ich keine wirklich gute Schwester bin.«
»Chow und ich werden dich beschützen.«
Sie schmiegte sich näher an ihn.
»Wie wäre es, wenn du endlich mal deine Jeans ausziehen würdest?«, fragte er mit einem klagenden Unterton.
»Wenn ich ordentlich war, wenn ich alles managte und gute Noten in der Schule hatte …« Und wenn Ellen sich um nichts kümmern musste und nicht belästigt wurde … »Solange ich ihr keine Probleme machte, war ich in Sicherheit.«
»Nicht ganz. Du hast immer noch ein wirklich großes Problem, und es wird immer größer und größer.«
Was hatte sie getan? Was hatte sie ungeklärt gelassen?
»Du denkst zu viel.« Lachend zog er sie in die Arme.
Eine neue Stimmung im Zimmer witternd, sprang Chowder vom Bett. Er trabte ins Wohnzimmer, legte sich hin und bettete den Kopf auf seine ordentlich gekreuzten Pfoten. Der Mond vor dem Fenster war ein kleiner weißer Ball, zu hoch geworfen, um ihm hinterherzujagen. Im Lauf der Nacht stand Chowder dann und wann von seiner Ruhestatt auf und wanderte leise von Zimmer zu Zimmer, blieb ein-, zweimal neben dem Bett stehen und betrachtete Ty und Roxanne im Schlaf. Er stand Wache an den Wohn zimmerfenstern, behielt den Canyon im Auge, beobach tete den Mond, beschützte die, die er liebte.
12
T ags darauf ging Johnny in die Arbeit, ohne Simone zu wecken. Am Vormittag rief seine Sekretärin an, um Simone auszurichten, Johnny sei in Las Vegas und werde spät nach Hause kommen und sie solle nicht auf ihn warten. Abends lag sie im Bett und schaute sich im Fernsehen Conan O’Brien an,
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