Das Gewicht der Liebe
oft über Simones Horizont hinausging. Ihr war klar, dass diese reichen und intelligenten Frauen sie nur deshalb in ihre Clique miteinbezogen, weil Johnny ihr Ehemann war, und andernfalls nicht an ihr interessiert gewesen wären. Aber manchmal war sie witzig, und die Frauen lachten über ihre Scherze, und Simone dachte, dass sie vielleicht doch auch ein klein wenig gemocht wurde.
Nach Merells Geburt war sie zu depressiv gewesen, um auszugehen. Gelegentlich wurde sie zum Mittagessen oder zu einem Kinobesuch eingeladen, aber nicht sehr oft, und nach einer Weile hörten die Einladungen ganz auf. Wenn sie sich auf Dinnerpartys oder Wohltätigkeitsgalas begegneten, zogen die Frauen Simone auf die Seite, um sie auszufragen, ihre Stimmen kaum mehr als ein Flüstern und so mitfühlend, wenn sie sich erkundigten, ob es denn wahr sei, dass sie wieder eine Fehlgeburt gehabt habe. Sie spürte, wie die vielen Fehlgeburten die Frauen peinlich berührten und gleichzeitig faszinierten. In ihrem entsetzten Mitgefühl schwang ein erregter Kitzel mit.
Roxanne war die einzige wahre Freundin, die Simone jemals gehabt hatte, es sei denn, sie zählte Shawn Hutton als Freund dazu. Als Billy Winston Simone einmal als Dummkopf titulierte, hatte Roxanne ihn verdroschen, bis er um Gnade flehte. In der ersten Klasse hatte ein Mädchen mit weizengelben Haaren Simone als minderbemittelt bezeichnet, den Ausdruck aber zurückgenommen, als ihr Roxanne den Arm umdrehte. Und gestern hatte Roxanne Simone vor Johnny in Schutz genommen und ihm eine Ohrfeige verpasst. Die Erinnerung an den schockierten Ausdruck in seinem Gesicht würde Simone für den Rest ihres Lebens zum Lachen bringen.
»Was ich da über eine Abtreibung gesagt habe, du weißt doch, das habe ich nicht so gemeint. Ich war gestern einfach so unglücklich.«
»Du bist jeden Tag unglücklich.«
Er setzte sich auf die Bettkante, die Schultern gekrümmt, was Simone an seinen Vater erinnerte, der jeden Tag vor Sonnenaufgang aufgestanden war und acht oder zehn Stun den lang Ziegel auf dem Rücken geschleppt hatte. Eine Welle aus Liebe und Reue überkam sie, und sie lehnte den Kopf an Johnnys Schulter, fühlte die feuchte Wärme seiner frisch gewaschenen Haut an der Wange, den Zitrusduft seines Rasierwassers. Sie hatte nicht genügend Finger und Zehen, um all die Situationen aufzuzählen, in denen sie Johnny auf die eine oder andere Art enttäuscht hatte. »Mit einer anderen Frau wärst du glücklicher.«
»Lass das, Simone. Ich bin zu müde, um über so etwas zu reden.«
»Ich werde versuchen, mich zu bessern.« Ihm auf irgend eine Art entfremdet zu sein war unerträglich. »Ich verspreche es, Johnny.«
»Wir müssen einfach zusehen, dass wir dich ins letzte Drittel bringen. Danach wirst du dich besser fühlen.«
Die letzten Monate der Schwangerschaft waren ihre Be lohnung, jene Zeit, wenn sie dem Zauber ihres Körpers erlag, seiner unglaublichen Fähigkeit, sich zu dehnen und zu verlagern und Raum zu schaffen, immer mehr Raum. Nachts trat das Baby oder rollte sich herum oder pikste sie mit seinen knochigen Ellbogen, und sie hatte ständig einen Druck auf der Blase, aber es machte ihr nichts aus, wach zu bleiben, denn nach einem langen Tag, an dem ihre Hüften und Knie und ihr Rücken – sogar ihre Füße und Zehen! – schmerzten, war es ein Segen, wenn sie sich der Länge nach ausstrecken konnte, bis schließlich auch diese Position unbequem wurde. Während des letzten Drittels lebte sie meist in einer Art Nebel, ihr Verstand war umwölkt von dem Wunder, dass sie, die unfähig war, einen Aufschlag im Tennis zu machen oder den Namen des Gouverneurs richtig auszusprechen, ein menschliches Leben erschaffen und es neun Monate lang in sich tragen konnte, bis es perfekter war als alles, was Johnny baute oder Roxanne von ihren endlosen Listen strich. Es gefiel ihr, dass ihr Bauch riesig groß und sperrig wurde und vor ihr herzurollen schien, sodass die Leute in den Geschäften und auf der Straße lächelten, wenn sie ihnen entgegenkam, und zur Seite gingen, um ihr Platz zu machen. Jeder konnte sehen, dass sie nicht einfach eine hübsche, unbedarfte junge Frau war, die völlig sinnlos in dieser Welt Raum einnahm, sondern dass sie Bedeutung hatte, einen Sinn, einen Grund zu atmen und zu sein.
Sie fuhr mit der Hand über die Wölbung von Johnnys Rückgrat. »Hattest du einen anstrengenden Tag?«
»Einen langen«, sagte er, sich streckend. »Diese Chinesen sind wahre Perfektionisten, und das
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