Das Gewicht der Liebe
doch seine Witze und Interviews vermochten sie nicht zu erheitern. Normalerweise rief Johnny sie mehrere Male von der Arbeit aus an, doch heute, als sie sich so sehr nach dem beruhigenden Klang seiner Stimme sehnte, war das Telefon bedenklich still geblieben. Nicht einmal Roxanne hatte angerufen, und Ellen war in ihrem Apartment geblieben, sodass Simone sich wie ein Eremit fühlte.
In dem leeren Haus hatte Simone in Gedanken all die Dinge aufgelistet, die sie in den vergangenen Wochen falsch gemacht hatte, vor allem gestern Abend: ihre Versäum nisse und Fehleinschätzungen, die vielen Enttäuschungen, die sie Johnny zugefügt hatte. Die Liste war nahezu endlos, wickelte sich um sie herum wie ein Leichentuch. Sie wuss te, wenn sie hier, in ihrer beider Bett stürbe und er nach Hause käme und ihre Leiche fände, würde er natürlich traurig sein, aber in den geheimen Winkeln seines Herzens wäre er erleichtert, einer Last, einer Sorge und einem großen Ärgernis entledigt zu sein.
Es war fast Mitternacht, als sie das Ächzen der sich öffnenden Garagentür vernahm. Sie schaltete den Fernseher aus und vergrub sich unter der Bettdecke, gab vor zu schlafen. Wenn er immer noch wütend wäre, würde er sie wecken, aber vielleicht hatte er einen anstrengenden Tag hin ter sich und wollte nur sofort schlafen gehen. Wie auch immer, sie musste darauf achten, sich richtig zu verhalten, ihn zufriedenzustellen. Sie hielt den Atem an, als er ins Schlafzimmer kam, direkt in seinen Ankleideraum ging und die Tür hinter sich schloss. Die Dusche lief eine lange Zeit, und Simone fiel in einen leichten Schlummer, aus dem sie durch ein Rütteln an ihrer Schulter erwachte.
»Ich möchte mit dir reden. Setz dich auf.«
Sie rollte herum, schob sich die Haare aus den Augen, und dann brachen die Worte und die Tränen gleichzeitig aus ihr hervor. »Es tut mir so leid, Johnny. So unendlich leid. Bitte sag, dass du mir verzeihst.«
»Hör auf zu weinen, Simone. Ich bin darüber hinweg.«
Es fiel ihr nicht schwer, sich zu entschuldigen. Sie wusste, sie hatte sich bei dem Judge Roy Price Dinner unmöglich benommen. Sie hatte die Tafel während des Desserts verlassen, als die endlosen Reden begannen, und den Rest des Abends in einer Kabine der Damentoilette verbracht. Johnny hatte sie von dort holen müssen, als es Zeit zum Aufbruch war.
»Niemanden hat es interessiert, dass ich weg war. Den ganzen Abend über hat kaum jemand mit mir geredet.«
»Warum sollte auch jemand mit dir reden, Simone? Du hast ja nie irgendwas zu sagen.«
»Ich könnte mich unterhalten, wenn du mir helfen würdest, so wie du es früher getan hast.«
In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte Johnny sie auf Veranstaltungen wie das gestrige Dinner vorbereitet, indem er ihr Zeitschriften gegeben hatte, damit sie sich über aktuelle Themen informieren konnte. Nach der Lektüre hatte er sie abgefragt, hatte ihr von der Stadt- und Landespolitik erzählt, damit sie den Unterhaltungen seiner Freunde folgen konnte. Sie hatte nichts davon auch nur annähernd interessant gefunden und sich keine eigene Meinung über die Themen gebildet, über die sich andere endlos erregen konnten: der Standort eines neuen Flughafens, Verhandlungen mit der Pensionskasse, die Details der Stadtpolitik. Johnny sagte, es spiele keine Rolle, ob es sie interessiere, solange sie Interesse vortäusche. Mit seiner Hilfe war sie Expertin in Sachen Vortäuschung geworden.
In jener Zeit hatte Simone Freundinnen, junge Frauen, die, wie sie, mit reichen und prominenten Männern verheiratet waren. Eine hatte auf dem College Marketing studiert und eine andere hatte einen Hochschulabschluss in Musik, aber sie legten keinen Wert darauf zu arbeiten, da sie das Geld nicht brauchten. Stattdessen gestalteten sie ihre Freizeit möglichst abwechslungsreich und engagierten sich in wohltätigen Stiftungen. Simone war oft genug dabei, um als Teil der Gruppe angesehen zu werden, und wurde die Königin des gepflegten Nichtstuns. An Diens tagen und Donnerstagen spielten diese Frauen Tennis, und Simone traf sie anschließend zum Mittagessen auf der Terrasse des Tennisclubs. Wenn jemand sie fragte, ob sie nicht bei einem Doppel mitspielen wolle, lachte sie und sagte, sie sei ein Faultier und sehe lieber zu, wie andere Sport trieben, als selbst aktiv zu werden. Im Rückblick war das eine glückliche Zeit gewesen. Die Frauen schienen sich nicht daran zu stören, dass Simone sich an ihren Gesprächen nicht beteiligte, deren Inhalt
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