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Das Gewicht der Liebe

Das Gewicht der Liebe

Titel: Das Gewicht der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Campbell Drusilla
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und an dem stillen Antlitz des Mondes, der durch das Fenster neben dem Bett hereinblickte. Roxanne schüttelte den Kopf, um sich aus dieser eigentümlichen Stimmung zu befreien, und der Schleier vor ihren Augen schimmerte und wirbelte herum und teilte sich und fügte sich wieder zusammen.
    Eine denkwürdige Nacht.
    Ellen und Dale liebten Partys, vor allem Poker-Partys. Roxanne erinnerte sich an die Streits und das Gelächter und die Platten, die auf der Spindel des Stereoplattenspie lers saßen, das Klingeln von roten, weißen und blauen Poker-Chips, wenn ihr Vater sie zwischen den Händen hin und her schüttelte. Morgens, wenn sie die Gläser spülte und die Aschenbecher leerte, roch das Haus klebrig-süß und verraucht. Gran hingegen hatte Alkohol abgelehnt, bis auf ein Glas Rotwein, das sie sonntagabends zum Essen trank, und ein zweites Glas, wenn sie an ihrem Puzzle saß. Roxanne dachte an die Partys in Logan Hills, und sie erinnerte sich an Gran und die Ranch. Und währenddessen stieg die alte, niemals direkt gestellte, niemals ehrlich beantwortete Frage an die ruhige Oberfläche ihrer Gedanken empor.
    »Eines würde ich gern wissen, Mom.« Wenn sie betrun ken genug war, würde sie vielleicht die Wahrheit sagen. »Warum hast du mich weggegeben, mich bei Gran gelassen?«
    »Du solltest mir dafür danken. Ich habe das Richtige getan.«
    Du hast mir das Herz gebrochen, du hast mich für immer gebrandmarkt, wie könnte das richtig gewesen sein?, dachte Roxanne.
    »Ich kriege diese Frage einfach nicht aus dem Kopf, Mom. Ich habe es versucht, mein ganzes Leben lang habe ich es versucht, aber es geht nicht.« Sie berührte das Handgelenk ihrer Mutter, legte die Lippen auf den Puls, den sie dort fühlte. »Du hast mich nicht einmal besucht. Nicht ein einziges Mal.«
    »Du verstehst das nicht.«
    »Hilf mir, es zu verstehen, Mom. Sag mir einfach den Grund.«
    Von der Dachspitze ertönte das Lied einer Spottdrossel, eine Serenade.
    »Ich wollte euch Kinder nie haben. Deine Schwester nicht, dich nicht. Es war nichts Persönliches. Ich war einfach nicht fürs Muttersein geschaffen. Als ich mit dir schwanger wurde, wollte ich eine Abtreibung, aber wir hat ten kein Geld dafür. Damals hatte man nur die Wahl zwischen einer alten Frau mit Häkelnadel und einem anständigen Arzt jenseits der Grenze, für den man fünfhundert Dollar hinblättern musste. Ich dachte, ich könnte es selbst tun, aber ich habe es nicht fertiggebracht.«
    Roxanne hatte von den Frauen gelesen, die versucht hatten, ihre Schwangerschaft mithilfe von gebogenen Dräh ten, Klobürsten oder langen Löffeln zu beenden. Im Verlauf der Jahrhunderte waren Millionen von Frauen und Mädchen in Badewannen, Kellern und hinter Garten schuppen verblutet. Ihre Mutter und sie hätten leicht zwei davon sein können.
    »Ich habe irgendwie nicht mehr richtig getickt. Ich dachte, wenn ich dich ignoriere, würdest du von allein verschwinden. Ich habe mich ständig übergeben und den Leuten in der Arbeit erzählt, ich hätte die Grippe, und sie haben mir geglaubt, doch dein Dad ließ sich nicht täuschen, und was hat er für einen Aufstand gemacht! Ich dachte, ich könnte ohne ihn nicht leben. Ich dachte, ich würde sterben, wenn er mich verlässt.«
    »Du hast ihn geliebt.«
    »Ich war eine Idiotin.«
    Im nächtlichen Garten, unter einem orange glühenden Mond, sangen die Grillen Liebeslieder, und schwarze Motten opferten sich dem Licht.
    »Er war ungeheuer sexy, der erotischste Mann, den ich je kennengelernt habe. Kein Highschoolbübchen oder Autoverkäufer in einem billigen Anzug, der verzweifelt versucht, zum Zug zu kommen. Dein Vater war der Typ Mann, der einen Raum betritt und alle Blicke auf sich zieht. Die Frauen waren verrückt nach ihm, und die Män ner beneideten ihn, blickten zu ihm auf und ordneten sich ihm unter. Wenn ich mit ihm zusammen war, kam ich mir wie hypnotisiert vor.« Ellen sah sie an. »Du hast ja keine Ahnung.« Ihre Augen waren glasig von Alkohol und Tränen.
    »Jetzt weiß ich, was Liebe ist, aber damals … Lust. Liebe. Ich habe das durcheinandergebracht. Ich dachte, Liebe bedeutet, ich könnte tun, was immer ich will, ohne mich vor jemandem zu rechtfertigen. Und ganz viel Sex. Ja, genau so habe ich ihn geliebt.«
    Auch in ihrer Jugend war Roxanne nie so blind vor Liebe gewesen wie die junge Frau, die ihre Mutter da beschrieb. Und das hatte sie auch nie sein wollen.
    Die Majolika-Uhr auf Ellens Kommode schlug die halbe Stunde an. Roxanne legte den

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