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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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wollte. »Aber beantwortet mir diese Frage: Ist in Eurer Heimat jedes Haus, jeder Laden und Stall gleich schön, ob klein oder groß? Damit würdet Ihr mir kaum zu viel verraten, nicht wahr?«
    »Nein«, antwortete Tahn. »Jedes Gebäude ist so gut, wie sein Besitzer es sich leisten kann.«
    »Jeder folgt also dem Eigennutz«, erwiderte der Mann.
    »Niemand leidet Not«, sagte Tahn. »Das Land ist fruchtbar, und durch harte Arbeit findet jeder sein Auskommen.«
    »Dann wart Ihr also mit Eurem Leben dort zufrieden«, bohrte der Mann nach, während er unvermindert zielstrebig durch die Stadt eilte.
    »Ja«, antwortete Tahn, der allmählich zornig wurde. »Ich habe dort ein gutes Leben.«
    »Ich verstehe. Deshalb seid Ihr also von dort weggegangen … auf der Suche nach Abenteuern.« Tahn erhaschte einen kurzen Blick auf die Wange des Mannes und sah, dass ein ironisches Lächeln seine Mundwinkel hob. Ehe Tahn etwas erwidern konnte, fuhr der Fremde fort. »Nehmt es mir nicht übel. Bei Euch zu Hause ist es gewiss sehr nett. Aber seht mal.« Er zeigte hinter sie auf den Stadtrand, auf das letzte kleine Gebäude vor dem Gräberfeld. »Selbst diese Häuser sind sorgfältig und kunstvoll gebaut, findet Ihr nicht?«
    Der Mann hatte recht. Hier gab es nirgends Anzeichen von Armut. Kleinere Gebäude am Rand der Stadt waren ebenso liebevoll entworfen und errichtet wie die Prachtbauten, die im Kern der Stadt aufragten.
    Tahn hob den Blick dorthin und sah, wie die Sonne die gewaltigen Giebel und eleganten Bogengänge beschien, die die hohen Gebäude mehrere hundert Fuß über dem Boden miteinander verbanden. Aus der Ferne sahen sie aus wie Banner, die sich halb von ihren Stangen gelöst hatten und anmutig in diese von Menschen gemachten Schluchten hinabsanken. Trotz des Alters und der Risse, die sich hier und da durch die Mauern zogen, fesselte ihn diese Symmetrie.
    »Da fragt man sich doch, weshalb sie die Stadt verlassen haben«, bemerkte der Mann, der Tahns Blick folgte.
    »Sie sind fortgegangen?«, fragte Sutter ungläubig.
    »Diese Frage beschäftigt die Forschung schon lange, und es gibt zahllose Theorien dazu. Ich habe natürlich meine eigene.« Er machte eine dramatische Pause. »Ich glaube, dass sie ein Gleichgewicht zwischen Tod und Leben gefunden haben, wie die Felswände, die diese Stadt umschließen. Sie haben einen Weg über den Tod hinaus gefunden und über das Leben .«
    Tahn warf Sutter mit hochgezogenen Brauen einen Blick zu. Das war der gleiche Blick, den die Leute wechselten, wenn Liefel »Samthand« – ein großer Schnorrer und Angeber – zum Nordsonn-Fest seine unglaublichen Geschichten zum Besten gab. Sutter erwiderte das Lächeln.
    »Ich habe die Absicht, es zu finden«, sagte der Mann so leise, dass Tahn nicht sicher war, ob er ihn richtig verstanden hatte. Die Worte klangen wie ein Geheimnis, das im Schatten eines sterbenden Baums geteilt wird.
    Sie verfielen in angenehmes Schweigen. Die Höhe der umgebenden Gebäude erinnerte Tahn an die schmale Schlucht, die sie von der Brücke aus betreten hatten. Wenn er emporschaute, schwangen sich vor dem blauen Himmel die hohen Brücken über die Straße wie überhängende Äste zwischen Bäumen. Hin und wieder flog ein Vogel von einem Mauervorsprung oder dem hohen Dach eines Säulenvorbaus auf. Hoch oben pfiff eine Brise um die Ecken der Gebäude. Das hätte sich einsam anhören können, klagend vielleicht, wie Wind, der surrend über einen Grabstein strich, draußen auf dem Friedhof um die Stadt. Doch dieser Wind wehte durch eine monolithische Stadt, die ein einziges großes Zeugnis vergangenen Lebens war. Trotz der Leere fühlte Tahn sich hier seltsamerweise wie zu Hause.
    Sie bogen um eine Ecke und standen plötzlich vor einem großen Platz mit einem Kreis aus Springbrunnen, in deren Becken Staub und verdorrte Blätter geweht worden waren. Von jedem Brunnen aus führte ein kleiner Kanal zu einem prächtigen Springbrunnen in der Mitte des Platzes. Die leeren Becken waren in den Boden eingelassen, so dass jemandem, der davor stand, um die Fontänen zu bewundern, das Wasser vor den Zehen geplätschert hätte.
    Tahn trat dicht an einen der Springbrunnen heran. Eine große Schale ruhte auf dem Rücken einer Männerfigur aus Granit. Der Bildhauer hatte den muskulösen Körper sehr geschickt nachgebildet. Um den großen Platz herum standen weitere Statuen, alle dem Springbrunnen in der Mitte zugewandt, als folgten ihre Blicke den Kanälen dorthin. Tahn ging an einem

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