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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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schwollen Reue und der Drang nach grausamer Bestrafung an und verebbten wieder. Als sie die Augen wieder öffnete, blickten Penit und Jastail neugierig über die Schultern zu ihr zurück. Offenbar hatte sie laut genug gesummt, dass die beiden es gehört hatten, obwohl ihr das nicht bewusst gewesen war. Sie ignorierte ihre Blicke und rang um Fassung, als die letzten rhythmischen Klänge wie von schwieligen Fingern gezupfte Saiten verstummten und ihr Tränen in die Augen trieben. Das waren nicht die friedvollen Lieder ihrer Kindheit oder ihrer Spieldose, und sie konnte sich nicht an die Melodien erinnern. Sie verband sie nur mit dem rauen Gefühl, das sie auf ihrer Zunge hinterließen, und einem Bild von Glasscherben auf einem Kellerboden.
    Danach sprach Jastail nicht mehr so oft mit Penit und fasste ihn auch nicht wieder an. Doch er hielt den Jungen weiterhin ganz in seiner Nähe, auch wenn sie Halt machten, um sich auszuruhen und zu essen.
    Gegen Mittag des zweiten Tages erreichten sie eine Straße, die sich vor ihnen nach Norden und Süden erstreckte.
    »Wir nehmen die Straße«, erklärte Jastail. »Aber seid auf der Hut. Die Straße ist voller Reisender, die nichts als Täuschung im Sinn haben. Gebt nichts über euch preis, denn das könnte euren Tod bedeuten.« Er sah Penit an, als er das sagte, doch die Worte waren unmissverständlich auch an Wendra gerichtet. Er wandte sein Pferd nach Norden und galoppierte die Straße entlang.
    Sie kamen an einigen Häusern vorbei. Wendra wünschte sich sehr, es zu wagen und Zuflucht bei diesen Fremden zu suchen. Doch wenn sie bei den Häusern jemanden sahen, waren diese Leute stets stumm und abweisend. Sie starrten die Reisenden durch die Fenster oder über die Rücken des Viehs in ihren Pferchen hinweg an. Andere kehrten ihnen den Rücken zu und taten sehr geschäftig, während sie Jastail und Penit aus den Augenwinkeln beobachteten.
    An einer Weggabelung hielt Jastail an und blickte angestrengt in beide Richtungen. Schließlich führte er sie fünfzig Schritt von der Gabelung weg und bat Penit, ein Feuer zu entzünden. Der Junge stürzte sich auf seine Aufgabe.
    »Ihr macht Euch also keine Gedanken mehr darum, dass Eure Kollegen uns gefolgt sein könnten?«, fragte Wendra, als Jastail auf einem flachen Findling Platz nahm.
    Der Straßenräuber lächelte. »Die warten eine bessere Gelegenheit ab. Fürs Erste werden sie sich wieder ihren Geschäften widmen.« Er schnitt sich ein Stück Käse ab. »Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, werden sie sich daran erinnern, was sie sich mit ihrer Unverschämtheit eingehandelt haben. Und ich werde reich genug sein, um sie auspeitschen zu lassen, weil sie schlecht von mir denken.«
    Wendra sah nach Penit, der einen Steinwurf entfernt bei einem Erlenwäldchen Holz sammelte. »Ihr seid mir kein Geheimnis mehr«, stieß Wendra kochend hervor. »Ich habe Euch mehr als einmal das Leben gerettet, und zum Dank muss ich mit ansehen, wie Ihr Euch das Vertrauen des Jungen erschleicht. Reichtum zu erwerben ist nicht Euer Lebensziel. Der Glanz von Silber und Kupfer ist für Euch längst verblasst.«
    »Nun, Ihr dürft eines nicht vergessen: Jedes Mal, wenn Ihr mir geholfen habt, habt Ihr dadurch auch Euch selbst geholfen. Jastail aß ein weiteres Stück Käse und machte ein nachdenkliches, beinahe gelehrtenhaftes Gesicht. »Welch verblüffende Ironie – indem Ihr mir helft, rettet Ihr Euer eigenes Leben, was wiederum mir nützlich ist. Verblüffend, nicht? Das ist wahre Selbstlosigkeit, und ich danke Euch.«
    Wendra biss die Zähne zusammen, und Hitze wallte in ihr auf. »Behaltet Euren Dank. Glaubt Ihr wirklich, ich würde keine Möglichkeit zur Flucht finden …«
    »Und damit dem armen Penit alle Illusionen nehmen?«, unterbrach Jastail sie mit einem schiefen Lächeln.
    »Es ist unklug, Euch Eurer Sache so sicher zu sein.«
    Immer noch lächelnd, erwiderte er aalglatt: »Und Ihr seid eine schöne Frau weit fort von zu Hause, deren Ansichten über die Welt und die Menschen außerhalb eines abgelegenen Dorfes wertlos sind. Und vielleicht sogar dort.« Jastail rieb sich den Bart und wies auf die Bäume und den Himmel. »Jetzt beginnt ein neues Zeitalter, und der Bund der frühen Väter hat für uns keine Gültigkeit mehr, wenn er sie denn je besaß. Meine Teuerste, Ihr mögt recht haben, was mein nachlassendes Interesse an Geld angeht, und jeder Mensch ist seinem Retter dankbar, aber das ist auch schon alles.« Sein Tonfall wurde ernst.

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