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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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aus.
    Tahn sah den erschöpften Sheson an, dessen Gesicht verhärmt und weiß wie der Schnee war, dann seine Schwester, die den Jungen wie ein eigenes Kind angenommen hatte. Wendra warf Tahn einen flehenden Blick zu, und die Erinnerung an sein verzögertes Handeln, als ihr ein anderes Kind genommen worden war, füllte seine Gedanken aus.
    Die Rückbesinnung darauf quälte ihn trotz ihrer Vergebung noch immer.
    Nicht Balatins Sohn. Nicht Tahn.
    Er hatte doch nicht wirklich die Hände in den Schoß gelegt, als sie ihn gebraucht hatte, oder?
    Aber Tahn dachte auch an das Gesicht in Sutters Visionen, Miras Gesicht. Der Rübenbauer hatte das verstörte, verzweifelte Antlitz der Frau, die von der Liga verbrannt worden war, in der Nacht vor ihrem Tode gesehen; zumindest nahm er das an. Sutter glaubte es, und so glaubte Tahn es auch.
    Er sprach seine Worte im Geiste, während ringsum Aufschreie und Rufe ertönten. Er dachte daran, wie Rolen ihm in einer feuchtkalten Kerkerzelle als Beisteher gedient hatte, und fühlte sich sofort daran erinnert, dass er nun für seine Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen werden konnte.
    Dann zielte Tahn genauer und ließ sein Geschoss zwischen den hoch aufragenden Kiefern hindurch über den Schnee fliegen.
    Der Pfeil hielt sich an seine Bahn, durchschnitt die dünne Morgenluft und zischte auf sein Ziel zu. Als er den Bar’dyn niederstreckte, stieß Wendra einen Schrei aus, als wollte sie das Ende all ihrer Himmel herbeirufen. Der Stilletreue, der Mira festgehalten hatte, fiel hintenüber und ließ die Fern los. Einen Moment später wurde Penit gefangen und in den Wald verschleppt.
    Tahn fiel auf die Knie. Tränen brannten ihm in den Augen, obwohl er den Schrei, der aus seiner eigenen Kehle drang, nicht hören konnte. Alle Geräusche und alles Licht lösten sich ebenfalls auf und ließen ihn mit seinen Gedanken allein. Er stürzte vornüber in den Schnee, erhaschte aber noch einen Blick auf den gequälten Gesichtsausdruck seiner Schwester, bevor die tröstliche Kälte des Eises sein Gesicht umfing, als er den Kopf und seine eigenen Verzweiflungsschreie im Schnee begrub.
    Eine Weile später drang ein leises Schluchzen zu ihm durch. Er öffnete die Augen, die ihm aus nächster Nähe das ausdruckslose Gesicht des Sheson und über seine Schulter hinweg Mira zeigten. In der Miene der Fern vermischten sich Dankbarkeit und Enttäuschung. Vendanji half Tahn, sich aufzusetzen, so dass er die unbewegten Mienen der anderen sehen konnte. Nur in Sutters Augen stand kein Vorwurf. Tahn wischte sich den Schnee von den Wangen und legte angewidert den Bogen ab, den er bis dahin umklammert gehalten hatte.
    »Du hast deine Wahl getroffen, Tahn.« Der Sheson starrte Tahn mit unbarmherzigem Blick an. »Du musst dich dazu bekennen. Weise sie nicht von dir, indem du deine Waffe ablegst.«
    Tahn sah zu seinen Freunden hinüber. Braethen stand mit dick verbundenem Arm und Blut am Hals da. Der Sodale wirkte zu erschöpft, um sich aufrecht zu halten, wankte und versuchte, sich auf sein Schwert zu stützen. Sutter zuckte alle paar Sekunden zusammen und setzte sich schließlich auf einen großen Stein, um sich das Hosenbein hochzukrempeln, das einen purpurnen Bluterguss enthüllte, der von der Wade bis zum Knie verlief. Dann legte sich der Rübenbauer zaghaft die Finger auf den Scheitel. Sie waren blutig, als er sie wieder wegzog. Er schüttelte den Kopf, lächelte aber schief, bevor er erneut vor Schmerz zusammenzuckte. Der Verbannte schien unverletzt zu sein und hielt Abstand zu den anderen.
    Dann sah Tahn Wendra an, die auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung zusammengebrochen war. Sie weinte bitterlich, aber leise, und hatte ihr Gesicht tief in ihren Kleidern verborgen. Das Geräusch drang heiser aus ihrer gequetschten Kehle hervor. Die erbarmenswerte Szene, die sich um Tahn herum abspielte, fand im verhüllten Gesicht der weinenden Frau ihren deutlichsten Ausdruck. Er hatte lieber Mira gerettet als das Leben eines Kindes, des Kindes, das Wendra geradezu als ihr eigenes beansprucht hatte. Der Widerschein des Sonnenlichts auf dem Schnee und die Frische und Freude, für die er stand, machten Tahns Verzweiflung nur umso dunkler und bitterer.
    Vendanji fasste dies in Worte, indem er leise und gemessen sagte: »Es war ein selbstsüchtiger Schuss.«
    Tahn riss den Kopf zu dem Sheson herum. Zorn wallte in ihm auf, und er war einen Moment lang dankbar dafür, da die Wut den Schmerz verdrängte, der in ihm um Wendra

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