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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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werden muss.«
    Erneut wollte Tahn etwas einwenden. Diesmal legte Mira ihm einen Finger auf die Lippen.
    »Tahn, selbst wenn du ein Fremder wärst, der zum Tillinghast reisen würde, um der Bedrohung durch die Stille Herr zu werden, würde ich darauf bestehen.«
    Er sah ihr lange Zeit tief in die grauen Augen.
    »Es fällt mir umso leichter, da du keiner bist«, erklärte sie.
    Tahn fühlte sich, als wäre er wieder unfähig, jemanden zu beschützen, den er liebte, genau wie er es in Helligtal zu Beginn dieses ganzen Wahnsinns gewesen war … Aber er vertraute Mira tatsächlich. Langsam bekundete er mit einem bloßen Nicken seine Zustimmung.
    Vendanji stand auf und kam zu ihnen. Er legte Tahns Hände auf Miras und band sie mit einer seidenen Schnur zusammen, die er aus seinem Umhang hervorzog. Der Sheson umfasste die Hände der beiden und begann einen Sprechgesang voll rätselhafter Wendungen. Wärme breitete sich Tahns Arm hinauf aus, und Licht erstrahlte um ihre vier verschlungenen Hände, heller als die Sonne, die vom Schnee darunter reflektiert wurde. Vor Tahns innerem Auge blitzte der Moment seiner Entscheidung auf. Er sah von hoch über der Lichtung, auf der er jetzt saß, wie er mit dem Bogen auf den Bar’dyn zielte. Er beobachtete mit fürchterlicher Klarheit, wie er den Pfeil abschoss. Der Augenblick ließ ihn nach Luft ringen. Er spürte deutlich, wie er absichtlich das Vertrauen auf den angemessenen Schuss missbraucht hatte. Und ihm wurde noch etwas klar: Mira war zwar gerettet, aber die Folgen, die alles für das Leben des Kindes, Penit, haben würde, gingen auch ihn etwas an.
    Und bald Mira.
    In dem Moment brach eine Welle des Entsetzens über Tahn herein, als er begriff, dass das, was aus seinem Fehler geboren war, das Leben vieler betreffen würde. Denn er sah einen Regen aus brennenden Buchseiten, sah, wie die Luft selbst zerfetzt wurde, als sei die Welt vernichtet worden. Und inmitten dessen eine Gestalt aus Asche, die Arme und Mund zum Himmel erhoben hatte, ohne dass Tahn hätte erkennen können, ob daraus Triumph oder Leid sprach.
    Dann fühlte Tahn sich leichter, erneuert. Er hob den Blick und sah, dass Vendanji nicht ihn, sondern Mira aufmerksam anstarrte. Aus ihren Augen sprach immer noch messerscharfes Bewusstsein, aber sie runzelte die Stirn mit einer Besorgnis, die er bei ihr noch nie gesehen hatte.
    Und Tahn wusste, dass es vollbracht war.
    Mira kroch auf allen vieren über den Schnee davon und versicherte den anderen, dass es ihr gut ging, dass sie aber allein sein wollte.
    Dort, wo sie die brennenden Tränen der Erleichterung und Reue spüren konnte.
    Mit Tahns Makel behaftet, konnte sie keinen Erben mehr für Elan und für ihr Volk zur Welt bringen. Ihre langgehegte Furcht, sich für ein paar kurze Monate um ein Kind zu kümmern, bevor sie aus diesem Leben schied, war vorbei, und das erleichterte ihr Herz auf eine Art und Weise, die sie überraschte, da ihr Bund sich nun nicht erfüllen konnte. Makelbehaftet würde sie der Verheißung der Fern nicht teilhaftig werden. Was auch immer sie jenseits dieses Lebens erwartete, ihr war nun ein minderer Platz bestimmt, und das bedeutete, dass sie nicht mit denen wiedervereint werden würde, deren Gesichter sie gekannt und zu lieben gelernt hatte.
    Dann überkam sie eine fürchterliche Erkenntnis, und sie ließ das Gesicht in den Schnee sinken und weinte bitterlich. Das Aussterben ihrer Familie war nun besiegelt. Und damit würde vielleicht das Ende der Fern als Volk einhergehen, und damit auch das des Bundes, der die Sprache behütete, auf deren Verheißung die Hoffnung der Menschheit ruhte.
    Hatte sie gerade – ganz gleich, wie gut gemeint ihr Opfer für diese Queste, für Vendanji, für Tahn gewesen war – alle dem Untergang geweiht?
    Das ganze Ausmaß wurde ihr bewusst. Noch stand nichts fest. Aber es war durchaus möglich, dass sie recht hatte, und wenn dem so war, dann konnte es kein Opfer geben, das groß genug war, um diesen Fehler aufzuwiegen.
    Mira schauderte und konnte nur hoffen, dass der Junge aus Helligtal all die Aufgaben erfüllen würde, für die sie sich auf ihn verließen.
    Vendanji sank zurück in den Schnee, legte sich hin und starrte hinauf ins tiefe Blau. Sein Körper und seine Seele waren ausgelaugt, und das nicht nur, weil er aus dem Willen geschöpft hatte. Diese Flucht aus Helligtal hatte ihn an eine Vergangenheit erinnert, die er zu vergessen versucht hatte. Je mehr sie sich dem Tillinghast näherten und je größer

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