Das Gift der alten Heimat
geschrieben, und stell dir vor, die haben reagiert. Ich hatte das überhaupt nicht geglaubt. Aber Respekt, die haben gleich geantwortet! Sehr freundliche Leute, muß ich sagen.«
Johnny staunte immer noch. »Was hat die?« fragte er. »Sich ein amerikanisches Kochbuch besorgt?«
»Ja.«
Eine Erkenntnis tat sich Johnny auf.
»Daher der Truthahn«, nickte er.
»Er hat dir doch geschmeckt, Onkel Johann? Oder hast du das nur so gesagt?«
»Er war hervorragend – echt amerikanisch!« grinste Johnny.
»Das freut mich.«
»Alles war hervorragend.«
»Erna kommt aus Baden, weißt du. Dort kann man fantastisch kochen.«
»Soll ich dir sagen, was mir am allerbesten geschmeckt hat?«
»Was denn?«
»Die Kartoffeln.«
»Nein!«
»Doch!«
»Aber –«
Paul brach ab. Wenn das Erna hört, wird sie schwer enttäuscht sein, dachte er. Sie hat sich solche Mühe mit dem Truthahn gemacht. Die Kartoffeln waren doch das allerunwichtigste.
»Kann ich offen mit dir sprechen?« fragte Onkel Johann.
»Selbstverständlich!«
»Weißt du, nach was ich mich Jahrzehnte lang gesehnt habe?«
»Nach was denn?«
»Nach Rheinischer Bratwurst mit Kartoffelbrei.«
»Ehrlich?« rief Paul.
»Und nach Sauerbraten«, fing Johann an aufzuzählen. »Und nach Reibekuchen und nach Grünkohleintopf und nach Kassler mit Sauerkraut oder Erbsenbrei und nach –«
»Hör auf!« lachte Paul. »Die Palette kenne ich! Gibt's denn das alles bei euch drüben nicht?«
»Nein!«
»Auch nicht in deutschen Lokalen?«
»In denen schon, und ich hab's auch immer wieder mal probiert, aber das ist nicht das Wahre, glaub mir, ich weiß auch nicht, warum. Irgendwie schaffen die das nicht.«
Paul blickte in die Richtung, wo im Haus die Küche lag, und mußte noch einmal lachen.
»Die größte Überraschung«, erklärte er, »wird das für Erna sein.«
»Du meinst, daß wir es ihr auch sagen können?«
»Aber klar!«
»Und wenn sie vielleicht beleidigt ist?«
»Warum beleidigt?«
»Weil ihre Bemühungen nicht so gewürdigt werden, wie sie sich das vielleicht vorgestellt hat.«
»Ach was.« Paul winkte mit der Hand. »Das wäre ja dumm von ihr. Nee, nee, Onkel Johann, keine Angst, die wird genauso lachen wie ich, verlaß dich drauf …«
Und so war es auch. Erna lachte Tränen, als sie aufgeklärt wurde, brachte das amerikanische Kochbuch herbei, um das sie sich bemüht hatte, und sagte: »Der ganze Aufwand umsonst! Wenn das die Frau des amerikanischen Botschafters wüßte!«
»Wieso die Frau des amerikanischen Botschafters?« fragte Onkel Johann.
»Weil das Kochbuch von ihr ist«, erwiderte Erna. »Sie hat es mir selbst geschickt.«
»Wie denn das?« fragte Johann außerordentlich verwundert.
»Meine briefliche Bitte hatte in der Botschaft Ratlosigkeit ausgelöst. Die Herren fragten sich: Woher sollen wir hier in Deutschland rasch ein solches Kochbuch nehmen. Schließlich hörte auch die Frau des Botschafters davon und rief mich an.«
»Was tat die?« stieß Johnny Miller alias Johann Müller hervor.
»Sie rief mich an, und wir besprachen den Fall«, antwortete Erna vergnügt. »Sie bat mich sogar, dir von ihr guten Appetit zu wünschen.«
»Konnte sie denn deutsch.«
»Nein – aber ich englisch.«
»Sogar sehr gut«, warf Paul, stolz auf seine Frau, ein. »Sie hat Abitur.«
»Anders hätte ich ja auch mit dem ganzen Kochbuch nichts anfangen können«, lachte Erna.
»Eure Leute«, sagte Paul zu Johann, »sind jedenfalls von einem fantastischen Entgegenkommen. Ich hätte das bis zu diesem Moment nicht für möglich gehalten.«
Onkel Johann grinste.
»Public relations.«
»Was?«
»Öffentlichkeitsarbeit.«
Da Paul immer noch unsicher guckte, erklärte ihm Johann, was damit gemeint war. Man müsse sich zu verkaufen wissen, sagte er, nicht nur als Einzelfigur, sondern auch als Nation. Und das verstehe man anscheinend in der amerikanischen Botschaft sehr gut.
Daß Johanns Ausführungen einen kleinen Schatten auf die Gattin des Botschafters warf, wollte Erna nur ungern einsehen. Viel lieber hätte sie nach wie vor geglaubt, daß die Dame nur tätig geworden war, weil sie einfach von Frau zu Frau hatte nett sein wollen.
»Gibt's für uns alle heute abend Bratwurst?« fragte Paul.
Erna bejahte und schickte sich auch gleich an, den Raum zu verlassen, um das Benötigte in der Metzgerei zu besorgen.
»Einen Moment«, hielt Paul sie zurück. »Wir müssen dir noch etwas sagen …«
Sie blickte ihn fragend an.
»Onkel Johann«, fuhr er
Weitere Kostenlose Bücher