Das Gift der alten Heimat
Der Karl ist mit Leib und Seele angehender Konditor. Mit Eisen könne er nichts anfangen, sagt er von sich selbst. Eisen sei ihm geradezu widerlich. Und der Willi gerät seiner Mutter nach; er macht sich sehr gut im Gymnasium.«
»Das kann doch gerade das Richtige sein, Paul.«
»Wieso?«
»Sieh zu, daß er später Betriebswirtschaft studiert und sich so das nötige Rüstzeug verschafft, um deine Firma zu übernehmen.«
»Aber dazu ist der Laden doch viel zu klein«, widersprach Paul.
An die Antwort, die ihm darauf Onkel Johann gab, erinnerte er in späteren Jahren immer wieder.
»Wer sagt denn, daß der so klein bleiben muß, Paul?«
Dann gähnte Onkel Johann und erklärte, daß er sich gerne ein Stündchen aufs Ohr legen würde. Die Reise, das gute Essen Ernas, die neuen Eindrücke, alles zusammen habe ihn doch sehr ermüdet. Er sei eben auch nicht mehr der Jüngste. Paul brachte ihn daraufhin auf sein Zimmer.
Eine Frage hing noch unbeantwortet zwischen den beiden in der Luft, nämlich die nach Johnny Millers Existenz. Johnny schnitt aber nun das Thema selbst an, als er sich aufs Bett setzte und die Schuhe auszog.
»Es wird dich interessieren, was ich in Amerika mache, wovon ich lebe, Paul«, sagte er.
»Ja.«
»Ich verkaufe Uhren.«
Etwas Ähnliches hatte sich Paul schon gedacht.
»Du hast ja Uhrmacher gelernt«, meinte er.
»Richtig«, nickte Onkel Johann. »Aber jetzt repariere ich keine Uhren mehr, sondern verkaufe sie.«
»Bist du zufrieden?«
Mit unbewegter Miene erwiderte Johann: »Einigermaßen.«
Paul ging zur Tür, nachdem er noch gefragt hatte, ob der Onkel noch einen Wunsch habe, und dieser verneint hatte.
»Schlaf gut, Onkel Johann. Willst du geweckt werden?«
»Nicht nötig. Ich werde von selbst wieder rechtzeitig wach sein.«
Erna war vom Metzger längst wieder zurück. Paul fand sie in der Küche und begutachtete die Würste, die sie mitgebracht hatte. Sie waren in Ordnung.
»Das ist schon rum, daß wir Besuch haben«, teilte ihm Erna mit. »Die Leute hätten mir bald die Seele aus dem Leib gefragt.«
»Typisch für unser Nest.«
»Was macht er jetzt?«
»Er schläft.«
»Mich würde interessieren, wovon der in Amerika lebt.«
»Ich weiß es schon«, grinste Paul.
Erna blickte ihn vorwurfsvoll an.
»Du hast ihn doch wohl nicht danach gefragt?«
»Doch!«
»Aber das tut man doch nicht. Es hätte besser ausgesehen, wenn du gewartet hättest, bis er selbst davon angefangen hätte.«
»Also gut«, lachte Paul, »ich habe gewartet, bis er das getan hat.«
»Und?«
»Er besitzt ein Uhrengeschäft.«
»Ein eigenes Geschäft? Hat er das gesagt?«
»Gesagt hat er, daß er Uhren verkauft.«
»Dann kann er auch Vertreter sein.«
»Kann er«, nickte Paul zögernd.
»Vertretungen sind oft ein sehr mühseliges Geschäft«, meinte Erna ernsthaft. »Ich sage das deshalb, weil mir der Gedanke unangenehm wäre, daß sich dein Onkel mit dieser Fahrt nach München vielleicht finanziell übernehmen könnte, nur um unseren Jungen eine Freude zu machen.«
Das glaube er nicht, erklärte Paul.
Erna seufzte und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, daß Paul sich nicht irren möge.
In der Redaktion des Lokalblättchens herrschte eine gewisse Aufregung. Einer der jungen Reporter hatte das Brüderpaar Karl und Willi Müller per Zufall aufgegabelt und angeschleppt. Das war so vor sich gegangen: Der Reporter hatte eine Schwester, die so alt war wie Karl Müller und diesen zusammen mit Willi auf der Straße getroffen hatte. Sie hieß Ingrid. Sie war ein hübsches Mädchen und stand auf Karls Liste, wenn er davon träumte, sich in nicht mehr allzu ferner Zeit seiner Jünglingsunschuld zu begeben. Auf dieser Liste standen allerdings auch noch andere, die dafür in Frage kamen.
»Hallo, ihr beiden«, sagte Ingrid, als die drei sich begegneten.
»Hallo, Ingrid.«
»Was macht ihr?«
»Mal sehen, was sich tut«, antwortete naseweis Willi, der Kleinere.
»Ich gehe ein Eis essen«, sagte Karl, der diese Idee erst in diesem Augenblick hatte. »Kommst du mit, Ingrid?«
Ingrid erkannte das Problematische an dieser Idee. Sie nickte hin zu Willi.
»Und was geschieht mit ihm?«
»Ich leiste euch Gesellschaft«, sagte Willi.
»Du hast kein Geld!« erklärte Karl.
»Doch, soviel schon.«
»Kapierst du nicht?«
»Sicher, du hast Angst, mich freihalten zu müssen«, erwiderte Willi. »Aber das brauchst du nicht.«
»Er ist und bleibt ein Idiot«, sagte Karl zu Ingrid. »Das sieht man immer
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