Das Gift der alten Heimat
Polizeichef?«
»Keine Mark, mein Junge!« erwiderte Johann mit Nachdruck. »Bilde dir da nichts Falsches ein, das ist anders gelaufen!«
»Wie denn?« fragte darauf Karl erst recht neugierig.
»Das erzähle ich dir später einmal, wenn du mich besuchst«, entgegnete Onkel Johann und setzte so nebenbei hinzu: »In Amerika.«
»In Amerika?« rief Karl.
»Ja«, nickte Johann. »Aber nur, wenn du dein Wort nicht brichst.«
»Was ist mit Amerika?« fragte Willi, dem trotz des Lärms im Stadion Karls unbeherrschter Ausruf ins Ohr gedrungen war.
»Auch in Amerika ist der HSV bekannt, sagt Onkel Johann«, erwiderte Karl reinen Gewissens.
»Aber der FC Bayern sicher noch bekannter!«
Die große Kraftprobe, in der geklärt wurde, wem die Palme gebührte, den Hanseaten oder den Münchnern, begann, wie jeden Samstagnachmittag, wenn die Bundesligarunde steigt, um halb vier. Die zwei Jugendmannschaften waren abgetreten, begleitet vom freundlichen Beifall des Publikums. Das Stadion war inzwischen bis auf den letzten Platz gefüllt. Über den Lautsprecher wurden die Aufstellungen bekanntgegeben, dann kamen die Matadore selbst, um 90 Minuten lang mit ihren Beinen wieder einmal jene Arbeit zu leisten, für die sie weitaus höher bezahlt wurden als die brillantesten Geistesschaffenden für ihre Arbeit mit dem Kopf.
Das Spiel ging in die Fußballgeschichte ein. Als es begann, wußte jeder im ganzen Land, daß die Mannschaft, die siegen würde, dem Titel des Deutschen Meisters in diesem Jahr um ein entscheidendes Stück näher gerückt sein würde. Viel hinge, hatten die Zeitungen geschrieben, davon ab, wer das erste Tor schießen würde. Das brächte Ruhe in die Reihen dieser Elf – und Nervosität in die Phalanx des Gegners.
Das erste Tor schossen – und zwar sehr bald – die Hamburger, deren fünf- bis sechstausend Fans, die angereist waren, die Nordkurve besetzt hielten und sie mit ihren Fahnen in ein wogendes blaues Meer verwandelten. Die Südkurve, von jeher das Revier der heißesten Bayern-Fans, bot dagegen ein Bild des Entsetzens. Keine rotweiße Fahne wurde geschwenkt, als der Ball im Netz der Münchner Mannschaft zappelte.
Was sich zwischen den weiten Kurven im großen abspielte, trug sich zwischen Paul Müller und Onkel Johann im kleinen zu. Karl jubelte, Willi trauerte und gab dem Schiedsrichter die Schuld, der ein angebliches Foul eines Hamburger Angreifers an einem Münchner Verteidiger unmittelbar vor dem Torschuß nicht gegeben hatte.
»Hast du denn das nicht gesehen, Mensch?« fuhr Willi seinen Bruder an.
»Was denn?«
»Das gestreckte Bein von dem?«
»Von wem?«
»Vom Magath.«
»Der war doch gar nicht am Ball!«
»Aber er wollte ran, und das genügt! Wenn du das nicht gesehen hast, dann tust du mir leid!«
»Leid tust du mir mit deinen Bayern! Sieh nur, wie sie untergehen …«
Ein neuer Angriff des HSV rollte, und der arme Willi glaubte, das, was sich auf dem grünen Rasen tat, bald nicht mehr mitansehen zu können. Der FC Bayern war in Not. Die Nordkurve jubelte, die Südkurve zitterte. Nur langsam konnten sich die Bayern aus der Umklammerung der Gästemannschaft lösen und zu eigenem Druck auf den Gegner übergehen. Doch als sich die Anzeichen mehrten, daß das Spielgeschehen umschlagen könnte, fiel wie ein Blitz aus heiterem Himmel der zweite Treffer des HSV. Damit stand es 0 : 2 gegen Willis Lieblinge. Gleich darauf ertönte der Halbzeitpfiff des Schiedsrichters, und die Mannschaften verschwanden in ihren Kabinen. Die Hamburger wurden, als sie das Feld verließen, von ihren Anhängern gefeiert, die Münchner von den ihren ausgepfiffen.
»Onkel Johann«, sagte Paul, »mit deinem Tip wird's wohl leider auch nichts mehr. Ich hatte dich ja ausgelacht, als du den Bayern keinen Sieg zugetraut hast, aber jetzt wäre ich froh, wenn die wenigstens noch ein Unentschieden erreichen würden.«
Johann wiegte den Kopf.
»Ich weiß nicht, die gehen mir ein zu hohes Tempo«, sagte er. »Ob die das durchhalten?«
»Wer?«
»Die Hamburger.«
»Die machen doch die Bayern im Stehen fertig«, fiel Karl ein. »Habt ihr nicht gesehen, wessen Hemden schon viel verschwitzter sind, weil sie immer nur wie die Hasen hinter den anderen herlaufen müssen? Das geht weit mehr an die Kraft als Vorausmarschieren.«
»Wo hast du denn das gelesen?« fragte Willi. Es sollte ironisch klingen, tat's aber nicht, da Willi zu niedergeschlagen war, um seiner Zunge noch den richtigen Schwung zu geben.
Onkel Johann hätte
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