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Das Gift der alten Heimat

Das Gift der alten Heimat

Titel: Das Gift der alten Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu bedenken. »Keine Schlafanzüge, keine Zahnbürste …«
    »Na und?« sagte Onkel Johann. »In meiner ersten Zeit in Amerika habe ich die Nacht oft auf Parkbänken verbracht. Hier gehen wir ins Hotel und schlafen in unserer Unterwäsche. Denkst du, das schaffen wir nicht?«
    »In welches Hotel?« fragte Paul, dem seine Frau Erna nicht aus dem Kopf gehen wollte.
    »In ein gutes.«
    »Ein preiswertes genügt auch.«
    »Ich brauche ein gutes, in dem der Portier in der Lage ist, auch am Wochenende einen Juwelier auf die Beine zu bringen.«
    Pauls Augen weiteten sich.
    »Einen Juwelier?«
    »Wir müssen doch auch deiner Frau etwas Hübsches mitbringen«, sagte Onkel Johann vergnügt. »Hast du das vergessen?«
    »Sie weiß, daß die Geschäfte zu sind.«
    »Siehst du«, grinste Johann. »Deswegen brauche ich ein gutes Hotel mit einem gewandten Portier.«
    Paul fühlte sich überfahren.
    »Was willst du ihr denn kaufen?« fragte er ergeben. »Einen Ring?«
    »Ringe hat sie schon, habe ich gesehen.«
    »Was dann?«
    »Eine Perlenkette.«
    »Eine Perlenkette?!« schrie Paul auf. »Bist du verrückt?«
    Die beiden Söhne hatten sogar ihr Fußballgespräch vorübergehend abgebrochen. Gebannt hörten sie zu.
    »Ich bin deiner Frau einiges schuldig, Paul«, sagte Johann.
    »Für was? Für ihren Grünkohl?«
    »Und für ihre Bratwürste«, nickte lächelnd Johann.
    »Die sind vom Metzger!«
    »Und der Kartoffelbrei? Und die Reibekuchen? Und die Salate? Woher sind die? Und –«
    »Das sind doch alles Lächerlichkeiten!« unterbrach Paul.
    Johanns heitere Miene änderte sich. Fast ein bißchen melancholisch blickte er seinen Neffen an und sagte: »Nein, Paul, das sind sie nicht für einen, der zweiunddreißig Jahre weg war und in der Zeit Cornflakes gegessen hat und Steaks und Maisplätzchen. Du verstehst das nicht und kannst darum froh sein, es nicht verstehen zu müssen.«
    »Aber das klingt ja gerade so, als ob du dich von Amerika irgendwie lossagen möchtest?« meinte Paul erstaunt.
    Onkel Johann schüttelte den Kopf.
    »Nein, das möchte ich nicht, Amerika ist meine neue Heimat geworden, mein Land; wenn du willst, sogar mein Vaterland. Dabei bleibt's. Amerika hat mir sehr viel gegeben, aber das ändert nichts daran, daß ich, ehe ich Amerika gewann, vorher sehr viel verloren habe – meine alte Heimat, mein altes Land, old Germany. Lange Zeit sah es für mich selbst so aus, als ob ich das vergessen hätte. Irrtum! Es kam die Stunde, in der mir wieder bewußt wurde, was einem im Blut liegt, ob man will oder nicht.«
    Paul wußte nicht recht, was er dazu sagen sollte. Die Materie war ihm eben fremd. Er versuchte, einen Scherz zu machen.
    »Schön und gut«, antwortete er. »Aber Grünkohl und Reibekuchen in deinem Blut sind keine Perlenkette für meine Frau wert.«
    »Doch!« sagte Onkel Johann kurz und lächelte wieder.
    »Dann kann ich dich nur noch warnen, Onkel Johann.«
    »Vor was oder wem?«
    »Vor Erna«, seufzte Paul. »Die kann sehr wütend werden, weißt du.«
    »So?«
    »Das kommt von einem slawischen Großvater mütterlicherseits, den sie noch im Blut hat, sagt sie.«
    »Weißt du«, antwortete weise Johann, »wovor auch slawische Großväter sehr rasch kapitulieren?«
    »Wovor?«
    »Vor Perlen.«
    Von draußen hörte man Schlachtenbummler mit schauerlichem Gesang am Lokal vorbeiziehen, die, einem Sonderzug aus Hamburg entstiegen, vom Bahnhof kamen. »Zieht den Bayern die Lederhosen aus!« grölten sie und: »Hi – ha – ho, Bayern ist k.o.!«
    »Hörst du?« sagte triumphierend Karl, der HSV-Fan, zu Willi.
    »Warte nur« – Willi blickte auf die Uhr – »in vier Stunden werden sie nicht mehr singen, sondern weinen.«
    Onkel Johann winkte der Bedienung, um die Zeche zu begleichen.
    »Macht euch fertig«, sagte er. »Ich möchte mir vor dem Spiel gerne noch das ganze Olympiagelände ein bißchen ansehen, das ja ganz toll sein soll. Nicht einmal in Amerika haben wir so etwas.«
    Ehe aufgebrochen wurde, bestellte er telefonisch im ›Vier Jahreszeiten‹, Münchens bestem Hotel, noch drei Zimmer zum Übernachten.
    In der S-Bahn zum Stadion drängten sich schon die Fans, die auch das Vorspiel zwischen zwei Jugendmannschaften nicht versäumen wollten. Viele trugen rotweiße Mützen und Schals – die Farben des FC Bayern. Auch zahlreiche rotweiße Wimpel und Fahnen wurden mitgeführt, die in den Waggons noch eingerollt waren, beim Aussteigen aber sofort unter Gebrüll geschwenkt wurden. Die Züge fuhren in

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