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Das Gift der alten Heimat

Das Gift der alten Heimat

Titel: Das Gift der alten Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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im Dunkeln verträumt Ernas Stimme zu vernehmen.
    »Wo mag er jetzt sein?«
    »Wer?« fragte Paul.
    »Onkel Johann.«
    »In Bochum.«
    »In Bochum?« fragte Erna überrascht. »Wieso in Bochum?«
    »Er hat mir gesagt, daß er da hinfährt.«
    »Und was macht er da?«
    »Eine Kusine lebt in Bochum. Eine Schneiderin, Emma Kerbel. Die wollte er besuchen.«
    Sekundenlang herrschte Stille, dann konnte man hören, daß sich Erna noch einmal im Bett aufsetzte.
    »Weißt du was, Paul?«
    »Wann gibst du denn Ruhe?« erwiderte er. »Was denn?«
    »Wir fahren nach Bochum, um ihn noch einmal zu sehen. Du wolltest ihn doch noch vieles fragen. Und außerdem kannst du ihm bei der Gelegenheit das sagen, was du vergessen hast.«
    »Was habe ich vergessen?«
    »Daß das neue Werk seinen Namen tragen wird.«
    »Ja«, seufzte Paul und drehte sich um. »Gute Nacht.«

Nachdem Peter Paffke in der Bochumer Adalbertstraße verbreitet hatte, wer bei der Schneiderin Emma Kerbel zu Besuch sei, nämlich ein mit Vorsicht zu genießendes Subjekt, ließ schlagartig der Kundenstrom nach, der ohnehin noch nie den Namen ›Strom‹ verdient hatte, sondern viel eher einem ›Bächlein‹ gleichzusetzen gewesen wäre. Emma ahnte, was sich zugetragen hatte, schwieg aber. Nur ihr Mausgesicht wurde noch spitzer, noch blasser und wehmütiger. Auch Onkel Johann sah mit wachen Augen den plötzlichen Rückgang des Geschäfts und mußte an sich halten, keinen Wutanfall zu kriegen. Noch ist die Frist nicht um, die ich mir gesetzt habe, dachte er. Noch kann ich nicht wie im Märchen die gute Fee spielen. Meine liebe, kleine Emma Kerbel, du vom Schicksal vergessenes Kind, du sollst bald wieder lachen können wie alle die anderen Menschen, die du heimlich beneidest.
    Als Emma einmal einkaufen gegangen war, hatte er ein bißchen spioniert und in der Wäscheschublade ihr Tagebuch gefunden. Ohne Hemmungen las er es, und die Erschütterung über dieses Menschenleben warf in ihm alle Vorsätze über den Haufen, auch hier ein Spiel mit der Gutgläubigkeit zu treiben und sein wahres Gesicht erst am Ende zu zeigen. Vor allem die letzten Tagebucheintragungen ergriffen ihn sehr und steigerten seine verborgenen Aktivitäten in der Stadt.
    Diese Eintragungen lauteten:
    »Es ist elf Uhr nachts. In zwei Tagen wird Onkel Johann hier sein. Was soll ich ihm sagen? Wie soll ich ihn empfangen? Ich habe solche Angst vor dem Besuch. Ich kenne Onkel Johann gar nicht. Vielleicht ist er ein ganz reicher Mann, der sich schämt, in meine armselige Wohnung zu kommen. Frau Dr. Vieths sagte gestern: ›Kindchen, wenn Ihr Onkel aus Amerika kommt, zapfen Sie ihn nur ruhig ordentlich an. So eine Chance bekommen Sie nie wieder.‹ – Ich habe genickt, aber ich kann es nicht. Nein! Ich werde ihm nicht sagen, wie schlecht es mir geht, ich werde nicht von Geld sprechen. Ich schäme mich so. Vielleicht denkt er, meine Freude ist nur gespielt, weil ich Geld von ihm haben will. Ich werde mich deshalb zurückhalten müssen, damit er nicht diesen Verdacht gewinnt, obwohl ich ihm gerne zeigen würde, wie ich ihn mag. Er ist doch ein Onkel von mir, der letzte. Es muß eben so weitergehen wie bisher. Der Mensch wird auch von Kartoffeln und Gemüse satt. Es gab eine Zeit, da war eine Kartoffel mehr wert als ein Goldstück. Nein! Ich kann es nicht! Ich werde schweigen. Vielleicht zahlt er mir für das, was ich ihm auf den Tisch stelle, ein paar Mark mehr als meine Auslagen. Vielleicht tut er das. (Das ganze Leben ist für einen Menschen wie mich ein großes Vielleicht, das sich selten erfüllt.)«
    Oder:
    »Es ist soweit, morgen kommt Onkel Johann, und ich habe kein Geld, um ihm etwas Besonderes zur Begrüßung zu bieten. Zu einem Strauß Blumen langt's und zu ein paar Tassen Bohnenkaffee. Ich hätte ihm gern auch noch ein Kistchen Zigarren gekauft, aber Frau Süder hat ihre Kleiderrechnung nicht bezahlt. Vielleicht raucht er gar nicht, dann wäre ich aus der Verlegenheit. Als ich Frau Süder gestern mahnte, sagte sie am Telefon: ›Seien Sie doch nicht so ungeduldig, Fräulein Kerbel, oder wollen Sie mich auf den Gedanken bringen, mir eine andere Schneiderin zu suchen? Mit Ihrer Arbeit bin ich ohnehin nicht mehr recht zufrieden. Warten Sie also bis zum Ersten, auch unsereiner muß rechnen. Mit meinem Mann kann ich diesbezüglich nicht reden, seit in seinem Amt davon gesprochen wird, daß das vierzehnte Monatsgehalt in Zukunft unter den Tisch zu fallen droht. Leute wie Sie sind davon nicht betroffen,

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