Das Gift der alten Heimat
aussieht wie am Tag ihrer Hochzeit mit Ihnen?«
»Weiß Gott nicht!« entschlüpfte es dem Schrotthändler.
»Sehen Sie«, nickte Miller. »Deshalb nimmt eine gute Schneiderin immer wieder neu Maß. Und daß meine Nichte eine gute Schneiderin ist, werden Sie ja wohl nicht bestreiten wollen?«
Malmut sagte darauf nicht gleich etwas. Miller sah ihn an. Der Blick genügte Malmut.
»Eine sehr gute!« stieß er hervor. »Wieviel will sie denn haben?«
Miller wußte das nicht. Aufs Geratewohl sagte er: »Hundert Mark.«
Das schien dem Schrotthändler zwar ein von Miller in die Höhe getriebener Wucherpreis zu sein, aber er nickte: »Einverstanden.«
»Dazu kommt noch einmal die gleiche Summe fürs Zuschneiden, Malmut.«
»Was?!« rief gepeinigt der Schrotthändler. »Ich dachte, das sei für beides!«
»Irrtum!«
»Hundert Mark verlangte Fräulein Kerbel bisher ja nicht einmal für ein fertiges Kleid!«
»Bisher nicht, das mag stimmen«, sagte Miller zum Schrecken des Schrotthändlers. »Aber diese Zeiten sind nun endgültig vorbei. Ab jetzt gelten völlig neue Tarife bei ihr. Erkundigen Sie sich ruhig mal danach in naher Zukunft.«
»Also gut«, biß Malmut in den sauren Apfel. »Zweihundert Mark.«
»Mal drei.«
Nun blieb aber dem Schrotthändler echt die Spucke weg. Unfähig eines Wortes starrte er seinen Peiniger an.
»Meine Nichte«, erklärte ihm Miller die Sachlage, »hat sich ja diese Arbeit nicht nur mit Ihrer Frau gemacht, sondern auch mit Ihren Töchtern.«
Malmut blieb stumm. Miller erhob sich und ging zur Tür, wobei er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, noch sagte: »Sie schulden ihr also sechshundert Mark plus den hier üblichen Mehrwertsteuersatz. Überweisen Sie ihr den Gesamtbetrag per Post oder liefern Sie ihn selbst bei ihr ab. Lassen Sie sich damit aber nicht allzuviel Zeit. Guten Tag.«
Am zweiten Samstag des Aufenthalts von Onkel Johann bei Emma Kerbel geschah dann das Wunder im Leben der kleinen, mausgesichtigen Näherin. Eine Flut von Boten und Botinnen ergoß sich in das stille, dunkle Haus in der Adalbertstraße. Zuerst lieferte das beste Pelzgeschäft Bochums einen wundervollen Persianermantel ab. Er paßte hervorragend, denn Onkel Johann hatte die Maße Emmas aus ihrem Schneiderbuch abgeschrieben. Ein anderer Lieferwagen brachte eine neue elektrische Nähmaschine und eine schwarze Kleiderpuppe, ein dritter Wagen vom besten Stoffgeschäft der Stadt entlud Ballen der feinsten, modernsten Stoffe.
Sprachlos stand Emma Kerbel in ihrer Wohnung, ließ die Sachen irgendwo abstellen und saß dann vor den Schätzen wie ein Mensch, der im Banne eines Traumes steht. Sie strich mit den Fingern über das weiche, gekräuselte Haar des Persianers, über die blanken Chromteile der neuen Maschine, über den glatten Leib der Puppe, über die seidenen Flächen der Stoffe. Sie schloß dabei die Augen, und Tränen tropften unter den geschlossenen Lidern über ihre blassen, eingefallenen Wangen.
Das kann ich doch nicht annehmen, dachte sie erschreckt. Das ist viel zuviel. Für das bißchen Kaffee und das alte Bett, in dem er schlafen durfte, braucht er mir doch nicht soviel zu schenken.
Sie sprang auf.
Nein, sagte sie sich. Ich muß es wieder zurückgeben. Hätte ich doch bloß nicht gesagt, was ich mir wünschte, wenn ich viel Geld besitzen würde. Er hat es sich gemerkt, und jetzt denkt er vielleicht noch, ich hätte es ihm gesagt, damit er mir das alles kaufen soll.
Ihre Selbstvorwürfe wurden noch stärker und drohten sie völlig zu deprimieren, als ein Gepäckträger kam und sie bat, ihm die Koffer des Herrn Johann Müller auszuhändigen. Der Herr käme nicht mehr zurück. Er warte auf dem Bahnhof und müßte den nächsten Zug nehmen. Einen Brief habe er, der Bote, auch abzugeben. Damit überreichte er Emma Kerbel ein verschlossenes Kuvert, packte die Koffergriffe, stöhnte, als ihm das Gewicht die Arme auszureißen drohte, und stapfte die Treppe hinab.
Emma Kerbel saß auf dem Küchenstuhl und wagte nicht, den Brief Onkel Johanns aufzuschlitzen. Er kam nicht wieder, das wußte sie jetzt. Er fuhr ohne Abschied von ihr fort. Er hatte sich nicht wohl gefühlt bei ihr – das war jetzt ihr einziger Gedanke. Ich war unbescheiden, ich habe ihm gesagt, was ich haben möchte, und er hat es mir auch gekauft, aber nun will er nichts mehr wissen von mir.
Sie saß eine ganze Zeit, ehe sie die Kraft gewann, den Brief zu öffnen. Mit der Angst, Vorwürfe entgegennehmen zu müssen, las
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