Das Gift der alten Heimat
Anrollen ist.
Als Johann aus der Stadt zurückkam, eine Plastiktüte in der Hand, duftete das ganze Haus schon nach frisch gebackenem Kuchen und gebrannten Mandeln und solchem Zeug. Johann fragte Lenchen, die mit hochroten Backen zwischen Küche und Vorratskammer hin und her rannte, ob er sich auch nützlich machen könne. »Um Gottes willen, nur das nicht!« beschied ihn die Schwägerin. »Ich kenne das von meinem Ollen. Das geht nur schief. Setz dich irgendwohin und lies die Zeitung. Bald wirst du sie ja wieder vermissen.«
Johann legte ihr die Plastiktüte mit den Worten auf den Tisch: »Für dich.«
Lenchen freute sich über die Bonbonniere, aber sie sagte: »Wozu das?«
»Für die Umstände, die ich dir mache.«
»Ach was!« Sie klappte die Backofentür auf. Ein Hitzeschwall kam ihr entgegen. »Das tu' ich doch gerne.«
»Ich habe schon zu Jupp gesagt, daß ich nicht ans Telefon hätte gehen sollen. Aber er hatte mich darum gebeten.«
Lenchen achtete nicht auf seine Worte. Sie war unzufrieden mit den Plätzchen, die sie einer Zwischenprüfung unterzog.
»Sie hätten mehr Safran gebraucht. So sehen sie nach nichts aus«, beschuldigte sie sich selbst, das Blech wieder ins Rohr schiebend.
»Vergiß dein Konto nicht«, sagte Johann, aus der Küche gehend.
Lenchen dachte über die mißlungenen Plätzchen nach. Sie fragte sich, ob sie so etwas ihren Gästen vorsetzen könne. Wieviel Zeit stand ihr noch zur Verfügung, um neue zu backen? Sie warf einen Blick auf die Uhr an der Wand, aber das war sinnlos, weil sie ja nicht wußte, wann der Besuch eintreffen würde.
»Was sagtest du?« fragte sie, sich umdrehend.
Die Küche war leer.
Im Laden wechselte Jupp mit einem alten Rentner, den seine Frau zum Einkaufen geschickt hatte, ein paar Worte über die himmelschreienden Privilegien der Beamten. Wenig später pflichtete er einer pensionierten Oberstudienrätin bei, die sich über die ungerechten Angriffe in der Öffentlichkeit gegen die Ruhestandsbezüge der Beamten beklagte. So verging die Zeit, und alle im Haus waren überrascht, als der Wagen mit Rheinstädter Nummer früher als man dachte draußen auf der Straße stoppte und seine Insassen mit lachenden Gesichtern ausstiegen.
Bei der Begrüßung kamen der guten Emma Kerbel aus Bochum rasch die Tränen, als ihr Onkel Johann die Hand schüttelte und sagte: »Ihr wißt alle, was ich mir ausbedungen habe …«
»Trotzdem«, antwortete Emma mit zuckenden Lippen, »möchte ich dir –«
»Kein Wort mehr!« fuhr er ihr über den Mund. »Sonst gehe ich auf mein Zimmer und sperre mich ein! Ihr könnt euch dann ohne mich amüsieren!«
Er wirkte echt böse. Emma, die daran schuld war, kroch in sich zusammen und senkte den Kopf, als sie ins Haus gingen. Drinnen rettete Erna die Situation, nachdem sie sich aus dem Mantel geschält und das Seidentuch vom Hals genommen hatte. Sie pflanzte sich vor Onkel Johann auf, drehte sich um ihre eigene Achse und fragte: »Na, was sagst du? Habe ich dir zuviel versprochen?«
Ihr Kleid war wirklich toll. Und ihr Hals wäre mit einer solchen Perlenkette sogar auch noch ansehenswert gewesen, wenn ihn ein Kropf verunziert hätte. Kette und Kleid paßten zusammen. Die ganze Erna bot einen Anblick, bei dem Johann spontan ein Ausdruck einfiel, der wie kein anderer im Rheinland zu Hause ist.
»Lecker siehst du aus«, sagte er.
Erna hob ihre Hand und hielt sie ihm vor Augen. Ein neuer Brillantring blitzte am Finger.
»Von Paul«, sagte sie.
»Von meinen Ersparnissen, nicht von deinem Geld, Onkel Johann. Das fließt alles ins neue Werk«, ließ sich Paul rasch vernehmen. »Ich konnte mich doch nicht völlig von dir ausstechen lassen.«
»Mein Mann«, lächelte Erna, »wurde zum Kavalier. Du siehst, welchen Stein du ins Rollen gebracht hast, Onkel Johann.«
»Der meine hilft mir nicht einmal beim Decken des Tisches!« rief Lenchen aus der Küche, und alle lachten.
Es wurde eine wunderschöne Familienfeier. Essen und Trinken gab's in Hülle und Fülle, auch Emma wagte von Zeit zu Zeit ein Schlückchen und vergaß dadurch ihren anfänglichen Schreck. Es wurde gescherzt und gelacht, man saß auf der kleinen Terrasse, und als am Abend der Mond aufging und seinen silbernen Schein auf den Rhein warf, war man sogar versucht, zu glauben, daß in diesem vielbesungenen, romantischen Gewässer auch noch das eine oder andere Fischlein am Leben war.
Das traurige Ende kam am nächsten Morgen. Die ganze Runde saß noch am Frühstückstisch und
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