Das Gift der alten Heimat
Sizilianer.
Langsam wurde es Jupp Müller zu bunt. Er erinnerte sich, daß er hergekommen war, um Fragen zu stellen, und nicht, um sich selbst ausfragen zu lassen.
»Vielleicht können Sie mir sagen, was der Scherz mit dem Scheck soll?« sagte er deshalb. »Sie haben ja schließlich den Scheck ausgestellt.«
Ein steinerweichender Seufzer entfloh dem Mund des Sizilianers.
»Fünfundsiebzigtausend Mark sind kein Scherz, Herr Müller.«
Jupp warf den Scheck wie einen abgefahrenen S-Bahnstreifen auf den Schreibtisch.
»Der ist doch nicht echt, Mann!«
Übermächtig war die Versuchung für Luigi, den Scheck an sich zu reißen. Und dennoch widerstand er der Verlockung. Sein Respekt vor den harten Jungs in Chicago war zu groß.
»Leider doch«, stieß er hervor.
Jupp Müller sah ihn an. Der lügt nicht, hatte er plötzlich das Gefühl. Dem bricht gleich das Herz, weil ihn ein großer Verlust getroffen hat.
Jupp trat vor Coco hin.
»Sagen Sie mir endlich die Wahrheit: Was ist mit diesem Geld? Was hat mein Bruder damit zu tun?«
»Ihr Bruder?«
»Mister John Miller ist mein Bruder. Vor zweiunddreißig Jahren hat er Deutschland verlassen und ist ausgewandert nach Amerika.«
Ein letztes Fünkchen Hoffnung erlosch in Luigi Coco. Die Rache eines Bruders herauszufordern, wäre der größte Wahnsinn, sagte er sich. Dafür fanden sich schon Beispiele in der Literatur der Antike. Wie unter einer schweren Last holte der Sizilianer Atem.
»Ich war ihm den Betrag schuldig, Herr Müller«, sagte er.
Langsam streckte Jupp die Finger nach dem Scheck auf dem Schreibtisch aus.
»Und Sie hat er angewiesen, diesen Betrag an uns geben zu lassen?«
»An Ihre Frau.«
Jupps Hand hatte den Scheck erreicht. Er nahm ihn an sich und steckte ihn ein.
»Warum?« fragte er dabei mehr sich selbst als den Nachtklubbesitzer. »Warum tat er das? Was hat er Ihnen gesagt?«
»Nichts hat er mir gesagt, Herr Müller.«
Jupp wurde auf einmal weich und wischte sich die Augen. »Dieser Verrückte«, murmelte er. »Dieser …« Er fand keinen Ausdruck mehr und dachte an den Abschied vor wenigen Stunden und an den davonfahrenden Cadillac, aus dessen Fenster die winkende Hand das letzte war, was sie gesehen hatten. Wortlos wandte er sich ab und verließ das Büro Luigi Cocos. Er stieg wie ein Schlafwandler in seinen Lieferwagen und ratterte nach Köln-Nippes zurück.
Dort wartete Lenchen voller Angst auf ihn. Sie war schon zehnmal zum Fenster gelaufen und hatte Ausschau nach Jupps Auto gehalten. Als sie es endlich auf das Haus zukommen sah, fiel ihr ein Stein vom Herzen.
»Was war denn?« fragte sie neugierig, als ihr Mann ins Zimmer trat.
Sekunden wachsender Spannung vergingen, in denen Jupp nichts sagte. Er ließ sich in einen Sessel nieder und legte mit einer feierlichen Bewegung den Scheck vor sich auf den Tisch. Er betrachtete ihn, hob dann den Blick, sah seine Frau an und sagte endlich: »Ich kann es immer noch nicht glauben …«
»Was kannst du nicht glauben, Jupp?« fragte Lenchen.
Er zeigte auf den Scheck.
»Der ist echt!«
Nun konnte Lenchen nicht mehr den Blick von dem Stückchen Papier lassen. Da liegen fünfundsiebzigtausend Mark, dachte sie. Fünf-und-sieb-zig-tau-send Mark!
»Und wieso hat er sich hierher verirrt?« fragte sie.
»Das hat er sich nicht, Magdalena.«
»Was?«
Es kam nur alle zehn Jahr einmal vor, daß der Metzgermeister Müller zu seiner Frau ›Magdalena‹ sagte. Wenn er es tat, war das ein Zeichen dafür, daß etwas Einmaliges im Gange war, etwas Unbegreifliches, das zu empfinden größte Mühe bereitete. Und die unwillkürliche Reaktion seiner Gattin in solchen Augenblicken bestand dann darin, ihn nicht mehr Jupp zu nennen.
»Was hast du gesagt, Josef?«
Er zeigte wieder auf den Scheck.
»Er liegt zu Recht hier, Magdalena.«
»Aber wieso? Wir kennen doch diesen Herrn Coco – oder wie er heißt – gar nicht.«
»Wir kennen aber den, dem Herr Coco diesen Betrag schuldig war.«
Lenchen strich sich verwirrt über die Stirn.
»Josef«, sagte sie, »ich bitte dich, wenn Herr Coco jemandem fünfundsiebzigtausend Mark schuldig ist, dann zahlt er sie doch dem Betreffenden und nicht –«
»Ich sage dir doch, daß wir den kennen – sehr gut sogar!« unterbrach Jupp.
»Und wer ist es?«
»Mein Bruder Johann«, erklärte Jupp feierlich.
Lenchen, die während des ganzen Gesprächs am Fenster stehengeblieben war, ging zum Tisch und setzte sich hin. Mit sanfter Bewegung nahm sie den Scheck und
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