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Das Gift der alten Heimat

Das Gift der alten Heimat

Titel: Das Gift der alten Heimat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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empfand es als eine Art Bombeneinschlag, als Onkel Johann sie alle ins Auge faßte und sagte: »Machen wir's kurz, ich reise ab, in zehn Minuten bin ich weg, gepackt habe ich schon nach dem Aufstehen.«
    Sekundenlang herrschte Stille, dann fingen alle an, auf ihn einzureden, daß das doch nicht sein Ernst sein könne. Aber er war nicht dazu zu bewegen, noch länger zu bleiben.
    »Das ist jetzt der beste Moment«, sagte er. »Ich habe euch alle so schön beisammen, um mich zu verabschieden. Heute früh nach dem Aufwachen habe ich mich dazu entschlossen.«
    »Aber du wolltest doch noch eine Woche bleiben?« meinte Lenchen. »Was mache ich mit dem vielen Kuchen, der übriggeblieben ist?«
    »Den gibst du Erna für ihre Jungen mit. Die werden schon fertig damit«, sagte Johann.
    »Jean«, startete Jupp einen letzten Versuch und fiel vor Aufregung in seinen Dialekt zurück, »drüben versäumst du doch nichts. Dinge Ührcher, die ticken weiter, Äwwer hier, hier biste vonnöten. Dä Paul baut die Fabrik, dät Emma hat singe Modesalon – du sollst dir dat alles wenigstens ens ansinn.«
    Johann schüttelte den Kopf und erhob sich.
    »Fangt mir nicht damit an«, sagte er. »Das Thema ist tabu.«
    Und so war es nicht mehr aufzuhalten, daß sich alle draußen vor dem Cadillac versammelten, um dem Onkel aus Amerika ein letztesmal die Hand zu schütteln.
    Emma Kerbel weinte, ihr Mausgesicht zuckte kläglich, als sie sagte, daß sie gern etwas tun würde, aber sich nicht getraue.
    »Was denn?« fragte Johann.
    »Dich umarmen.«
    Er drückte sie an sich und wußte, daß von der ganzen Verwandtschaft das Herz in der Brust dieses alten Mädchens am allerheißesten für ihn schlug.
    Durch einen Tränenschleier zu ihm aufblickend, sagte sie: »Obwohl du es uns verboten hast, möchte ich dir in diesem Augenblick trotzdem –«
    »Hältst du den Mund, Emma!«
    »– danken«, brachte sie noch hervor, dann verstummte sie und lief schluchzend ins Haus.
    Sie blickten ihr nach. Johann benützte die Gelegenheit, rasch die Autotür zu öffnen und sich ächzend hinter das Steuer zu zwängen.
    Wann es denn ein Wiedersehen gäbe, fragte Jupp.
    »In einem oder zwei Jahren«, antwortete Johann und setzte hinzu: »Wenn ich es noch erlebe …«
    »Mensch, Jean, red keinen Quatsch!« Jupp biß sich auf die Lippen. Über sein dickes Metzgergesicht wetterleuchtete es. Ich werde weich, dachte er erschreckt. Ich heule ja auch gleich. Dä Jupp Müller und heulen?! Verdammt noch mal!
    »Hau ab, Jean!« sagte er grob, und sein Bruder verstand ihn gut. »Verschwinde, sonst verpaßte dinge Zug nach Amerika!«
    »Ich fahre mit dem Schiff«, grinste Johann.
    »Laß wat hören, wenn du angekommen bist.«
    »Mache ich, ich rufe euch an, wir bleiben in Verbindung.«
    »Hau ab!«
    Die anderen sagten gar nichts mehr.
    »Macht's gut!« rief ihnen Johann durchs offene Autofenster zu und trat aufs Gas. Der schwere Wagen zog an und rauschte über den Asphalt von Köln-Nippes. Solange sie ihn sehen konnten, winkten ihm die Zurückgebliebenen nach. Dann, als der Wagen hinter einem Häuserblock verschwand, faßte Jupp Paul und Erna unter.
    »Kommt«, sagte er traurig, obwohl er erst kurz zuvor reichlich gefrühstückt hatte, »jetzt essen wir en kaltes Kotelett. Wenn ich traurig bin, muß ich essen.« Seiner Körperfülle nach konnte es nicht anders sein, als daß er ein sehr trauriges Leben führte.
    Das geschah gegen neun Uhr morgens. Um elf Uhr schellte es, und ein Bankbote verlangte Frau Magdalena Müller zu sprechen.
    »Wozu?« fragte Jupp, der die Tür geöffnet hatte.
    Der Bote hielt einen Brief in der Hand. Den solle er ihr bringen, sagte er.
    Jupp streckte die Rechte aus.
    »Geben sie ihn mir.«
    »Nein«, widersprach der Bote. »Frau Müller muß ihn persönlich in Empfang nehmen.«
    »Ich bin doch ihr Mann.«
    »Auch dann nicht.«
    Lenchen war im Gästezimmer und überzog die Betten frisch. Verärgert rief ihr Mann nach ihr. Paul, Erna und Emma hatten sich kurz zuvor verabschiedet, um nach Hause zu fahren.
    Lenchen nahm das Kuvert und riß es auf. Es enthielt nur einen Scheck, weiter nichts – aber was für einen Scheck! Kein Begleitschreiben. Einen Scheck über sage und schreibe fast fünfundsiebzigtausend Mark!
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Lenchen, den Scheck in der Hand haltend, zum Bankboten.
    »Sie sind doch Frau Magdalena Müller?«
    »Ja.«
    »Dann gehört er Ihnen.«
    Verwirrt schaute sie ihren Mann Jupp an, der ihr das merkwürdige Papier aus

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