Das Gift der Engel
bat Alban.
Simone runzelte die Stirn. »Hat das nicht bis morgen Zeit? Schau mal, der Abend hat erst …«
»Ich habe alles herausgefunden. Wir müssen handeln. Gerhard glaubt mir zwar immer noch nicht, aber es passt alles zusammen. Komm bitte mit. Im Auto erkläre ich dir alles.«
Simone sah ihn zweifelnd an und wandte sich ihrem Begleiter zu.
»Tommy, ich muss weg.«
»Hey«, rief er und machte ein Gesicht, als hätte er erst in dieser Sekunde begriffen, worum es ging. »Willst du abhauen?«
»Ich hab was zu erledigen. Ich wusste das vorher nicht. Es ist was passiert, um das ich mich kümmern muss.«
Der Junge grinste und sah erst Alban und dann wieder Simone an. »Was Wichtiges? Mit dem da?«
Wieder mal so ein Exemplar aus der jüngeren Generation, das nicht in ganzen Sätzen sprechen kann, dachte Alban.
»Ist mir egal, was du denkst. Wir gehen jetzt. Komm, Nikolaus.«
»Nikolaus!«, rief der Junge und lachte höhnisch. »Ja, bald kommt der Nikolaus. He, Weihnachtsmann. Bisschen früh, was?« Ein paar andere Kinobesucher lachten mit.
Sie überquerten gemeinsam die Straße. Alban drückte auf den Knopf, der die Zentralverriegelung öffnete, und sie stiegen ein.
»Das war sowieso ein Idiot«, sagte Simone. »Die ganze Zeit hat er versucht, mich im Dunkeln zu begrapschen.«
»Ich dachte, du wärst mit einer Freundin im Kino.«
»Sie konnte nicht. Als ich gerade die Karten hatte, rief sie mich auf dem Handy an und sagte ab.«
»Und dann bist du trotzdem ins Kino gegangen.«
»Ja, ich hab Tommy die zweite Karte verkauft.«
»Was für ein Glück, dass er gerade da war. Woher kennst du ihn denn?«
»Ich kenne ihn gar nicht. Ich hab ihn vor dem Kino angesprochen.«
Alban schüttelte den Kopf und ließ den Motor an.
Er hatte vor dem Kinocenter so lange über die Zusammenhänge der Geschichte nachgedacht, dass es ihm jetzt schwerfiel, sie Simone in kurzen Worten zu erklären. Er versuchte es trotzdem, und als er fertig war, schwieg sie nachdenklich.
»Klingt das plausibel oder nicht?«, drängte Alban.
Sie runzelte die Stirn. »Aber wer hat denn nun Joch umgebracht? Und warum?«
»Es wird sich zeigen.«
»Kann es nicht sein, dass Zimmermann doch in der ganzen Sache drinhängt?«
»Würde er dann nicht eine entsprechende Aussage machen, um sich zu entlasten?«
»Wahrscheinlich.«
»Wir müssen einfach rauskriegen, ob da oben hinter Remagen jemand wohnt. Oder gewohnt hat.«
»Muss es gerade dort geschehen sein?«
»Es ist abgelegen. Einsam. Man ist von anderen Menschen abgeschottet … Und es scheint Frau von Schaumburg zu gehören. Oder zumindest der Familie.«
»Ist das nicht gefährlich, wenn wir uns da jetzt umsehen? Und dann auch noch nachts?«
Er registrierte, dass Simone ihm einen besorgten Blick zuwarf.
»Nachts können wir uns besser verstecken«, sagte er. Und ich will es jetzt endlich wissen, fügte er in Gedanken hinzu.
Da sind Häuser.
Damit hat er nicht gerechnet. Er hat gedacht, der Weg sei irgendwann zu Ende und er komme an den großen Fluss, den er vor vielen Jahren schon einmal gesehen hat und von dem ihm die Frau erzählte.
Doch nun liegt am Ende eines abschüssigen Hohlwegs ein Dorf. Die Siedlung reiht sich an einer Hauptstraße entlang.
Kein Mensch außer ihm ist zu Fuß unterwegs, aber kaum ist er ein Stück durch den Ort gewandert, kommt hinter ihm ein Auto angeschossen.
Den Jungen überfällt Panik. Hier ist alles von Straßenlaternen hell erleuchtet. Er kann sich nicht so leicht verstecken wie oben zwischen den Hügeln. Was ist, wenn der Mann im Auto kommt? Wo soll er hin?
Schon ist der Wagen an ihm vorbei und im Tal verschwunden.
Er folgt weiter der Straße. Sie kommt ihm endlos vor. Hinter manchen Fenstern sieht er Licht.
Irgendwann schiebt sich eine hohe Brücke über seinen Weg. Oben braust ab und zu ein Auto vorbei.
Er beginnt zu laufen. Seine Schritte hallen.
Schließlich liegt eine schwarze glitzernde Fläche vor ihm.
Er steigt über ein Geländer, klettert über Steine.
Da ist der Fluss.
Breit und mächtig.
Unüberwindlich.
24
Als Alban und Simone am Sonntag zurück nach Remagen gelaufen waren, hatte sie der Weg zunächst durch ein Dorf namens Unkelbach geführt, dessen Häuser sich an einer langen Straße reihten. Der Ort füllte ein kleines Tal, an dessen Ende die B9, die Rheinuferstraße lag. Schließlich hatten sie dann noch einen langen Fußmarsch machen müssen, bis sie gerade noch rechtzeitig die letzte Fähre erreichten.
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