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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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hatte.
    Dann drückte er »Enter«.

     
    Wie weit ist es noch bis zur Erde? Er traut sich nicht, sich umzudrehen. Ihm bricht der Schweiß aus, seine Hände werden rutschig. An sein Ohr dringen Geräusche aus dem Haus.
    Der Junge lässt das Seil los. Für den Bruchteil einer Sekunde ist er im freien Fall, doch dann berühren seine Schuhe den Rasen. Es sind höchstens zwei Meter gewesen, die noch gefehlt hatten.
    Er rennt los – in die Dunkelheit. Vor ihm taucht eine schwarze Wand auf. Die Mauer, die das Gelände umschließt. Unüberwindlich hoch.
    Er hält sich nach links, in Richtung der kiesbedeckten Auffahrt, an dunklen Büschen und kleinen Bäumen vorbei.
    Soweit er sich erinnert, führt der Weg zu einem Tor.
    Er hofft, dass er darüberklettern kann.
    Ob der Mann seine Flucht schon bemerkt hat? Vielleicht ist er außen um das Haus herumgegangen und hat das Seil gesehen.
    Nur das nicht, denkt der Junge.
    Er hastet weiter.
    Jetzt müsste das Tor kommen.
    Überrascht kommt er zum Stehen. Der Kies knirscht.
    Das Tor ist weit geöffnet. Der Mann muss es eilig gehabt haben, als er vorhin in das Anwesen kam.
    Der Junge rennt zwischen den eisernen Flügeln hindurch und dann die schmale Straße entlang, hinein in den dunklen Wald. In die Freiheit. Ein Glücksgefühl erfasst ihn – ein innerer Jubel.
    Erst viel später fällt ihm ein, dass er die Nachricht in seinem Zimmer vergessen hat.

     
    Alban rief einen Link nach dem anderen auf. Er nahm das Wörterbuch zur Hand, übersetzte und verglich. Er war auf der richtigen Spur.
    Bernardi war nicht einfach Musikwissenschaftler. Er war eine Kapazität. Und das auf einem ganz besonderen Gebiet.
    Er tippte Kesslers Privatnummer ins Telefon. Es tutete lange.
    »Kessler.«
    »Nikolaus hier. Guten Abend.«
    »Ach, du bist’s.« Kesslers Stimme klang müde. Hatte er schon geschlafen? Oder war er wieder einmal gerade erst nach Hause gekommen? Im Hintergrund brabbelte irgendwas. Wahrscheinlich der leise gestellte Fernseher.
    »Auch wenn ich dir damit ungelegen komme, Gerhard. Ich glaube, ich habe den Fall Joch gelöst.«
    »Ach, Nikolaus, wieso kommst du jetzt mit so was?« Der Hauptkommissar war wohl zu erschöpft, um sich aufzuregen. »Wir haben einen Verdächtigen. Wir haben einen Zeugen. Ich bin sicher, dass wir bald auch ein Geständnis kriegen.«
    »Wie heißt der Zeuge? Das darfst du mir nicht sagen, ich weiß. Gerhard, ich weiß nicht, was euer Zeuge gesehen hat, aber das hängt alles ganz anders zusammen, als du glaubst. Ich würde es dir gern erzählen. Dann kannst du selbst entscheiden, was du davon hältst.«
    »Kommt in deiner Geschichte eine Partitur vor? Und eine verrückte Dichterin namens Dagmar Dennekamp?«
    »Hör es dir doch erst mal an!«
    »Weißt du, Nikolaus, ich habe einen langen Tag hinter mir. Ich habe schon die letzte Nacht nach unserer Probe bis um zwei gearbeitet, bin heute Morgen um sieben wieder angetreten und gerade erst heimgekommen. Von den Nächten davor möchte ich gar nicht reden.«
    »Gerhard …«
    »Das Einzige, Nikolaus, was mir ein bisschen Freude gemacht hat in diesem ganzen Stress, war … Rate mal.«
    »Was?«
    »Du sollst raten. Was hat mir wohl in der letzten Zeit die meiste Freude bereitet?«
    Alban suchte nach Worten. Wovon redete Kessler da? »Freude? Wahrscheinlich, dass du diesen Zeugen gefunden hast.«
    »Das auch, Nikolaus, aber das ist beruflich.« Kesslers Stimme wurde traurig. »Man braucht aber auch ein Privatleben. Sagt zumindest meine Frau immer. Nein, es ist etwas Privates, was mir Freude gemacht hat, Nikolaus. Und es ist schade und ziemlich bezeichnend für deine derzeitigen Probleme, dass du nicht selbst drauf kommst.«
    »Gerhard, ich …«
    »Es war der Quartettabend. Du glaubst nicht, wie schön es ist, durch die Musik mal ein paar Stunden Abstand vom Beruf und dem ganzen Mist um einen herum zu bekommen.«
    Kessler klang ehrlich enttäuscht. Alban bremste seine Ungeduld. »Gerhard, du hast ja recht. Ich weiß aber nicht, an wen ich mich sonst wenden soll. Es ist ja auch irgendwie meine Pflicht …«
    »Jetzt sag mir nicht, als Staatsbürger. So was höre ich sonst nur von irgendwelchen Idioten, die sich über Falschparker mokieren.«
    »Gerhard, ich muss es dir erzählen. Es dauert nur eine Minute. Setz dich hin. Lehn dich zurück und hör mir zu.«
    »Also gut. Weck mich, falls ich am Ende eingeschlafen sein sollte …«

     
    Manchmal hört er ein Knacken im Gehölz, oder der Wind rauscht durch die

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