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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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»kennst du die alle? Ich meine, kannst du sie auseinanderhalten?«
    Alban musste lächeln. »Natürlich. Die Musik ist doch sehr unterschiedlich. Da gibt’s Bach, Beethoven, Mozart …«
    »Nein, ich meine …« Simone suchte nach Worten. »In der klassischen Musik ist es doch so: Es gibt bestimmte Werke, und die werden von den Musikern immer und immer wieder gespielt …«
    »Und gesungen«, fügte Alban hinzu. Simones direkte Art hatte eine erfrischende Wirkung. Er spürte, wie er sich entspannte.
    »Und gesungen. Natürlich. Was ich meine ist … Wie soll ich das sagen …«
    »Du meinst, ob das nicht immer dasselbe ist, wenn der Geiger X Beethovens Violinkonzert spielt oder der Geiger Y. Es ist dasselbe Werk, und wenn sie beide gut spielen, dann muss es sich doch gleich anhören?«
    Simone nickte. »Genau das meine ich. Bei Sängern unterscheiden sich natürlich die Stimmen, und wenn Pavarotti eine Arie singt, dann klingt das anders als bei Andrea Bocelli.«
    »Das ist sowieso der Fall«, sagte Alban kühl. »Bocelli kann nämlich überhaupt nicht singen.«
    »Mag ja sein. Aber du verstehst, was ich meine.« Sie wies auf das Regal. »Für mich klingt das alles gleich.«
    Alban zuckte mit den Schultern und empfand es als Befriedigung, dass er nach diesem für ihn eher unangenehmen Tagesanfang einmal dazu kam, über sein Fachgebiet zu sprechen. »Für mich eben nicht«, sagte er.
    »Darf ich das mal testen?«, fragte Simone und stellte sich vor das Regal. »Guck mal weg.«
    Alban drehte sich gehorsam mit seinem Bürosessel zur Wand, wo ebenfalls ein Regal stand, das allerdings mit Büchern gefüllt war. Er hörte, wie sich Simone hinter ihm an der Stereoanlage zu schaffen machte.
    Plötzlich kam Musik aus den Boxen. Ein ziemlich lauter Orchestereinsatz.
    »Das ist leicht«, rief Alban. »Das ist so leicht, dass es schon fast eine Beleidigung ist. Beethovens Fünfte. Kennt jedes Kind.«
    Simone ließ das Stück weiterlaufen. An der Stelle, an der das Hornsignal als Überleitung zum zweiten Thema erklang, stellte sie die Musik ab.
    »Natürlich weißt du, was das ist. Aber weißt du auch, wer da gespielt hat?«
    Automatisch ließ Alban in seinem Kopf den Klangeindruck Revue passieren. Der Klang war straff und klar gewesen. Der Dirigent hatte den berühmten Anfang mit dem Schicksalsmotiv ziemlich schnell, fast etwas gehetzt genommen und den Holzbläsern auch noch kleine Akzente verordnet …
    »Das war das Orchester der Tonhalle Zürich. Der Dirigent heißt David Zinman.«
    Simone nickte. »Dafür, dass du insgesamt siebzehn Aufnahmen von diesem Stück im Regal stehen hast, nicht schlecht. Aber das kann ja Zufall sein. Bitte immer noch nicht umdrehen. Das Spiel geht weiter. Beethovens Fünfte in einer anderen Interpretation.«
    Wieder hämmerte das berühmte Motiv durch den Raum. Die Aufnahme klang verwaschen. Es lag mehr Hall darin. Der Dirigent setzte auf Pathos – nicht viel, aber es war deutlich zu hören. Wieder diese Akzente in den Bläsern.
    »John Eliot Gardiner«, sagte Alban, als Simone abgestellt hatte. »Orchestre révolutionaire et romantique.«
    »Wow. Das hat sich für mich jetzt absolut gleich angehört. Machen wir weiter. Ein anderes Stück.«
    »Bitte wieder an der richtigen Stelle einordnen«, mahnte Alban.
    »Keine Sorge«, sagte Simone. »Versuchen wir’s mal damit.«
    Wieder erkannte Alban das Stück sofort. Es war der Anfang von Bachs E-Dur-Partita für Violine solo. Er hatte sie selbst oft gespielt. Allerdings nicht so meisterhaft wie der Geiger hier. Der Klang war weich. Eine Analogaufnahme. Schon älter.
    »Arthur Grumiaux«, stellte Alban fest.
    »Toll. Und jetzt dasselbe Werk noch mal«, kündigte Simone an und wechselte die CD. Bachs gebrochene Dreiklänge flossen in wesentlich moderner Tontechnik durch die Boxen. Die Aufnahme war auch nicht schlecht, aber man spürte zwischen den Noten doch eine Spur von interpretatorischer Unsicherheit, die der Solist mit virtuoser Glätte auszugleichen versuchte … Obwohl, nein, es war gar kein Solist, es war eine Frau, die da spielte, eine sehr junge …
    »Hilary Hahn. Sie war siebzehn Jahre alt, als diese Aufnahme entstand.«
    »Von dem Stück hast du immerhin acht CDs«, sagte Simone. »Ich bin beeindruckt. Da du dich so chefmäßig mit klassischer Musik auskennst, kann ich dir nur einen Rat geben.«
    Alban drehte sich um. Simone brachte die CDs wieder an ihren Platz zurück.
    »Ach, und welchen?«
    »Du solltest versuchen, dem

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