Das Gift der Engel
Geheimnis dieser Partitur auf die Spur zu kommen. Wenn das einer schafft, dann du. Offensichtlich lässt dir die Sache ja sowieso keine Ruhe.«
»Danke für den Ratschlag. Aber was tue ich denn gerade?«
Simones Blick wurde streng. »Im Moment überlässt du das Feld anderen. Diesem Jung mit seinen Computeranalysen zum Beispiel. Du musst selbst etwas unternehmen.«
»Und was?«
»Dir besser über diese Arie klar werden.«
»Über die Musik bin ich mir schon im Klaren, keine Sorge.«
»Aber wo hatte dieser Dr. Joch das Stück her? Du musst mit Leuten reden, die er kannte. Und außerdem – hast du nicht eben davon gesprochen, dass man Musik erleben muss? Und das heißt doch, man muss sie zum Klingen bringen, oder?«
Alban starrte die triumphierend lächelnde Simone an, und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Sie hatte recht! Natürlich! Man konnte noch so viel über die Noten reden, man musste erst einmal Musik daraus machen, um sich ein Urteil bilden zu können. Man musste …
»Ich sehe, mein Vorschlag fällt auf fruchtbaren Boden.« Simone wandte sich zur Tür. »Ich gehe mal runter und richte was Kleines zum Mittagessen. Heute Nachmittag muss ich mich nämlich noch um ein paar Büsche kümmern.«
Alban blieb sitzen und ließ seinen Plan eine Weile reifen. Dann stand er auf und begann etwas zu suchen. Nach allerlei Abtragungen von Büchern, Noten und Zeitschriften sah er schließlich in seinem Papierkorb nach. Dort fand er nach kurzem Wühlen die Ankündigung, die ihm Fiona dagelassen hatte: den Hinweis auf das Konzert in der Kölner Musikhochschule.
Was bin ich doch für ein Esel, dachte Alban, denn die Suche war vergebens gewesen. Natürlich stand die Telefonnummer der Sängerin nicht auf dem Zettel. Er würde sich also an Fiona wenden müssen, aber die musste er ja sowieso anrufen.
Ein anderes Problem war Kessler. Den würde er brauchen, aber war es wirklich günstig, ihn in seinen Plan einzuweihen? Andererseits – warum nicht? Die Erforschung dieser Partitur war ja nicht illegal.
Er würde mit ihm sprechen. Aber später.
Alban machte sich ein paar Notizen. Dann nahm er sich einen weiteren Stapel CDs von dem Turm mit den Neueingängen.
5
Als Alban am nächsten Morgen erwachte, wunderte er sich selbst, wie gut er geschlafen hatte. Lea war seinen Träumen ferngeblieben.
Bis in die Nacht hinein hatte er sich mit seinen CDs beschäftigt. Vor allem eine neue Aufnahme mit Klavierwerken von Bach hatte ihn begeistert. Ein französischer Pianist, dessen Name Alban noch nie begegnet war. Ein feiner Anschlag, die Notenketten der ausgedehnten Kontrapunkte angetupft und doch so ausdrucksvoll. Es war eine Lust gewesen, über diese CD zu schreiben. Und am späten Abend war es ihm auch noch gelungen, seine Quartettkollegen zusammenzutrommeln und Fionas Schwester zu erreichen.
Simone war schon vom Joggen zurück, Alban hörte das Wummern der Dusche, und ein Blick in die Küche verriet ihm, dass der Kaffee fast durchgelaufen war. Er ging nach draußen, atmete die würzige Herbstluft ein, holte die Zeitung aus dem Briefkasten und war erstaunt, dass ihm gleich die Post entgegenfiel. Der Briefträger war früh dran gewesen.
Alban nahm den Stapel, ging hinein und kam Simone in die Quere, die gerade in die Küche wollte.
»Na, du bist ja heute temperamentvoll«, sagte sie. »Offensichtlich sind deine Kopfschmerzen verschwunden.«
»Vollkommen«, sagte Alban und blätterte die Post durch. Er reichte Simone zwei dicke Umschläge; für ihn selbst war nur ein einziger Brief gekommen: ein blaues DIN-A-5-Kuvert. Alban betrachtete es nachdenklich und setzte sich an den Tisch.
»Was Unangenehmes?«, fragte Simone und warf ihre eigene Post in die Kiste für das Altpapier. »Für mich gab’s wieder nur Kataloge für Gartengeräte.«
»Justizvollzugsanstalt Rheinbach«, las Alban.
»Post aus dem Knast?« Simone kam näher. »Vielleicht eine Vorladung oder so was. Wegen deiner Aussage.«
Alban öffnete den Umschlag. Ein zweiter Brief kam zum Vorschein – einfach und weiß, ebenfalls mit Albans Adresse, jedoch in anderer Schrift und mit einem anderen Stift geschrieben. Er war bereits säuberlich aufgerissen. Innen steckte ein zusammengefaltetes Blatt. Ein handschriftlicher Brief.
Alban überflog die Zeilen. »Der Brief ist von Zimmermann. Datiert auf gestern. Offenbar hat er sich gleich drangesetzt, als er ins Gefängnis kam.«
»Und was schreibt er?«
»Er beteuert seine Unschuld … Eigenartige
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