Das Gift der Engel
Aknestellen auf den Wangen störten das Bild. Sie ließen ihn jung und pubertär erscheinen.
Nachdem Dr. Schneider Alban begrüßt hatte, nahm der Anwalt hinter seinem Schreibtisch Platz, einer großen Glasplatte, die von einem blanken Chromgestell getragen wurde.
»Sie wussten, dass ich Sie besuchen würde?«, fragte Alban und ließ sich in den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch sinken.
»Sie sind mir zuvorgekommen. Wenn Sie nicht angerufen hätten, hätte ich mich bei Ihnen gemeldet. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
»Vielen Dank, ja«, sagte Alban. »Ohne Milch und Zucker.«
Dr. Schneider gab die Bestellung über die Gegensprechanlage weiter, dann stützte er die Ellbogen auf seinen Schreibtisch und rieb die Handflächen langsam gegeneinander. »Arne Zimmermann scheint der Meinung zu sein, dass Sie ihm helfen können.«
Alban holte den Brief hervor und wollte ihn Dr. Schneider zeigen. Der Anwalt winkte ab.
»Lassen Sie nur. Ich kenne das Schreiben. Ich habe Herrn Zimmermann in der JVA besucht. Als wir über mögliche Verteidigungsstrategien sprachen, fiel sofort Ihr Name. Er sagte mir, dass er sich an Sie wenden wollte.«
Er musterte Alban auf eine eigenartig eindringliche Weise. »Sind Sie mit Herrn Zimmermann befreundet?«, fragte er.
Alban verstand, was er meinte. »Nein. Ich habe ihn an dem Abend, als er zu mir kam, zum ersten Mal gesehen. Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass ich Herrn Zimmermann wirklich gern helfen würde. Mein Gefühl sagt mir, dass er unschuldig ist. Andererseits kann ich auch nicht verhehlen, dass ich keine Ahnung habe, wie man ihn entlasten könnte.«
»Mein Mandant erwähnte eine Partitur, die Herr Joch ihm zur Aufbewahrung gegeben hat. Herr Zimmermann sagte, diese Noten hätten Ihr Interesse geweckt. Stimmt das?«
Die Tür öffnete sich, und die Vorzimmerdame servierte den Kaffee.
»Das ist richtig. Viel habe ich jedoch noch nicht darüber in Erfahrung bringen können.«
Alban nippte an seiner Tasse, und über die Kante hinweg sah er, dass Dr. Schneider ratlos den Kopf schüttelte.
»Es ist sowieso eine komische Idee, anzunehmen, dass dieses Manuskript etwas mit Herrn Jochs Tod zu tun hat. Warum er meinem Mandanten den Umschlag gab, werden wir vielleicht nie erfahren. Eine Laune. Ich glaube, Herr Zimmermann hat sich da etwas in den Kopf gesetzt. Ich weiß aus den Akten, dass die Polizei die Noten untersucht hat. Wenn die Blätter eine Spur hergegeben hätten – man wäre ihr gefolgt.«
Alban sah überrascht auf. »Entschuldigen Sie, aber was Sie da sagen, klingt merkwürdig aus dem Munde eines Anwalts. Ich hatte den Eindruck, dass es die Polizei von Anfang an auf Ihren Mandanten abgesehen hatte.« Er beschloss, nicht darauf einzugehen, dass er einen der ermittelnden Kommissare sehr gut kannte.
Dr. Schneider zog die Augenbrauen hoch. »Ich kann verstehen, dass Sie das befremdet! Aber es sieht leider ganz so aus, als habe Herr Zimmermann die Tat begangen.«
Alban stellte die Tasse so heftig ab, dass es klirrte. »Aber Herr Dr. Schneider! Sie müssen doch für die Unschuld Ihres Mandanten kämpfen.«
»Ich muss dafür kämpfen, dass er eine möglichst niedrige Strafe bekommt«, sagte der Anwalt hart. »Hier wird man kaum auf unschuldig plädieren können. Glauben Sie mir, ich bedaure das sehr.«
Alban bemühte sich, im Geiste die belastenden Fakten zusammenzuklauben, die ihm Kessler mitgeteilt hatte. »Es gibt doch gar nicht so viele Indizien für Zimmermanns Schuld. Und von Beweisen kann man streng genommen gar nicht reden. Nur von Indizien.«
Dr. Schneider lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Woher wissen Sie das? Haben Sie die Akten gesehen? Sie sind ein Zeuge, weiter nichts.«
Alban schwieg.
»Immerhin«, fuhr der Anwalt fort, »gäbe es noch Herrn Zimmermanns Vorstrafe zu erwähnen. Körperverletzung. Dafür hat er schon mal im Gefängnis gesessen.«
»Haben Sie ihn damals vertreten?«
»Allerdings.«
»Ich frage mich, wie so ein schmales Hemd gewalttätig werden kann.«
Dr. Schneider beugte sich vor. »Mithilfe einer Waffe zum Beispiel. Mit einem Springmesser, um genau zu sein. Vielleicht sind Sie ja trotz der Informationen, über die Sie anscheinend verfügen, doch nicht auf dem allerneuesten Stand.« Er zog einen Aktenordner heran und öffnete ihn. »Die Polizei hat herausgefunden, dass noch in der Nacht von Herrn Jochs Tod, und zwar mit höchster Wahrscheinlichkeit nach seiner Ermordung, mit dessen Kreditkarte online ein Flug für
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