Das Gift der Engel
Sache. Es würde mich interessieren, was du davon hältst. Ich lese dir den Brief mal vor. – Sehr geehrter Herr Alban, ich wende mich an Sie, weil ich das Gefühl habe, dass ich Ihnen vertrauen kann. Wir sind uns nur ganz kurz begegnet, aber Sie erschienen mir wie ein Mann von Welt. «
»Komische Ausdrucksweise«, unterbrach Simone. »Aber er hat natürlich recht. Obwohl du andererseits auch ein bisschen weltfremd bist, aber das kann er ja nicht wissen.« Sie grinste.
Alban fuhr fort. »Ich habe von meinem Anwalt erfahren, dass ich es Ihrer Aussage zu verdanken habe, dass man mich festgenommen hat. Zuerst war ich wütend auf Sie, aber das ist vorbei. Ich kann es Ihnen nicht verdenken; schließlich konnten Sie ja die Polizei nicht anlügen. Ich bitte Sie jedoch, mir zu glauben, dass ich Wolfgang nicht ermordet habe. Alles, was ich an dem Abend bei Ihnen berichtet habe, stimmt. Wolfgang ist verschwunden, nachdem er in der Oper gewesen war. Er hat mich danach noch kurz angerufen. Das vergaß ich an dem Abend bei Ihnen vor lauter Aufregung zu erwähnen.«
Alban sah auf. »Dass Herr Joch am Abend seines Todes in der Oper war, höre ich jetzt zum ersten Mal.«
»Das mit der Aufregung klingt aber plausibel«, sagte Simone. »Er wirkte tatsächlich ziemlich nervös. Das habe ich schon gemerkt, als er unten auftauchte.«
Alban las weiter. »Niemand bei der Polizei glaubt mir. Alle denken, ich wäre es gewesen, und sie lassen keinen Einwand gelten. Dass Wolfgang zum Beispiel diese Noten bei mir deponiert hat, wundert niemanden. Dabei ist das doch ziemlich geheimnisvoll, oder nicht? Da muss doch etwas dahinterstecken! Vielleicht sind die Noten wertvoll. Oder sie besitzen irgendeine Bedeutung. Vielleicht führen sie auf die Spur eines anderen Bekannten von Wolfgang. Vielleicht hatte er ja ein Verhältnis? Tun Sie mir den Gefallen und helfen Sie mir. Ich weiß, dass Sie mich selbst nicht besuchen dürfen. Daher bitte ich Sie, sich mit meinem Anwalt in Verbindung zu setzen. Er heißt Dr. Thomas Schneider und hat seine Kanzlei in Bonn in der Wilhelmstraße. Sagen Sie ihm bitte, was Sie im Fall der Partitur herausgefunden haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Manuskript etwas mit Wolfgangs Tod zu tun hat. Bitte glauben Sie mir. Nur Sie können das Geheimnis lüften. Es grüßt Sie Ihr dankbarer Arne Zimmermann.« Alban ließ das Blatt sinken.
»Oh Mann«, sagte Simone. »Das klingt ja wirklich verzweifelt.«
»Allerdings.«
»Was willst du jetzt machen?«
»Ich könnte natürlich mit diesem Dr. Schneider sprechen. Es gibt aber nichts Außergewöhnliches zu berichten.«
»Andererseits hast du das Gefühl, dass es sich bei dieser Musik um etwas Besonderes handelt. Das hast du selbst gesagt.«
»Natürlich, aber das ist ja subjektiv. Du hast mich übrigens gestern auf die richtige Idee gebracht. Ich habe mich entschlossen, die Probe aufs Exempel zu machen.«
»Und was heißt das?«
»Heute Abend gibt es einen Musizierabend. Einen außerplanmäßigen sozusagen. Auf dem Programm wird diesmal nicht Beethoven stehen, sondern diese Arie.«
»Brauchst du dann nicht noch andere Musiker? Ich meine, bisher habt ihr doch immer was ganz anderes gespielt?«
»Wir nehmen das Streichquartett als Begleitung. Das reicht vollkommen aus. Außerdem brauchen wir noch eine Sopranistin. Aber die habe ich auch gefunden.«
»Ist Herr Kessler auch dabei?«
»Sicher. Er muss ja den Cellopart spielen.«
»Und wie hat er reagiert, als du gesagt hast, dass die Arie gespielt wird?«
»Er weiß es noch nicht. Es wird eine Überraschung für alle Beteiligten. Heute Abend werden wir erleben, wie die geheimnisvolle Arie wirklich klingt.«
»Und bis dahin?«
»Was meinst du?«
Simone deutete auf den Brief. »Willst du sonst nichts unternehmen?«
Alban dachte schweigend nach. Schließlich nickte er.
»Du hast recht. Ich werde den Anwalt besuchen.«
Alban ließ sich die Telefonnummer des Rechtsanwalts von der Auskunft geben. Eine freundliche Damenstimme teilte ihm mit, dass Herr Dr. Schneider heute Vormittag in seinem Büro sei. Eine knappe halbe Stunde später fand Alban die Kanzlei genau gegenüber den klassizistisch angehauchten Säulen des Landgerichts in der schmalen Wilhelmstraße.
»Ich habe Sie bereits erwartet«, sagte Dr. Schneider, der über dichtes, fast golden schimmerndes blondes Haar verfügte. Das kantige Gesicht ließ den Anwalt fast heldisch wirken. Jung-Siegfried, dachte Alban sofort. Nur ein paar
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