Das Gift der Engel
mir geht es anders. Tagtäglich erlebe ich, wie selbst hoch ausgebildete Menschen wie zum Beispiel Dr. Eisenmenger nur durch Intrigen und Niedertracht an ihre Ziele kommen.«
Alban verzichtete darauf zu sagen, dass auch in der Welt der klassischen Musik nicht auf Intrigen und Niedertracht verzichtet wurde, wenn es darum ging, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Stattdessen fragte er: »Worauf spielen Sie an?«
»Herr Dr. Eisenmenger hatte es von Anfang an auf Herrn Dr. Jochs leitende Position abgesehen. Und er ist auf sehr krummen Wegen an sein Ziel gelangt.«
»Wie hat er das geschafft?«
»Ach, das sind interne Dinge, Herr Alban, mit denen ich Sie nicht langweilen möchte. Man kann schon so einiges versuchen: Entscheidungen untergraben, indem man irgendwelche Forschungsergebnisse aus den USA aus dem Hut zaubert. Man kann sich systematisch Fälle vornehmen, in denen die Heilungsprozesse nicht so verlaufen sind, wie es eigentlich sein sollte. Todesfälle sogar – zum Beispiel bei Blasenkrebs oder Prostatakrebs. Und dann kann man hinter den Kulissen immer schön darauf hinweisen, dass man ja die besseren Voraussetzungen hat, weil man über diese oder jene neue Therapie besser informiert ist.«
»Und das hat Erfolg gehabt?«
»Zunächst konnte sich Herr Dr. Joch ganz gut wehren, denn er war ein sehr guter Arzt. Was ihn schließlich zu Fall brachte, war jedoch ein handfester Skandal. Ein Patient, gerade mal neunzehn Jahre alt, ein sehr gut aussehender junger Mann, beschwerte sich über sexuelle Belästigung bei einer urologischen Untersuchung. Es gab zwar keine Zeugen, aber eine Befragung. Herr Dr. Joch kam aus dieser Sache noch ganz glimpflich heraus, weil letztlich nichts zu beweisen war und Aussage gegen Aussage stand. Allerdings gab es ein, zwei Monate später einen zweiten Vorfall. Gewisse Zeitschriften, Sie wissen schon, mit bestimmten Bildern, tauchten in Herrn Dr. Jochs Büro auf. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen.«
»Und irgendwann legte man Herrn Dr. Joch nahe, zu kündigen?«
»So war es.«
»Kam davon jemals etwas an die Öffentlichkeit?«
»Nein«, sagte Frau Richter. »Ich bin aber der festen Überzeugung, dass Herr Dr. Eisenmenger dahintersteckte. Dass es eine Intrige war.«
»Könnte es sein, dass er heute noch fürchten muss, dass die Sache ans Licht kommt? Hat er deswegen behauptet, es gäbe keine Mitarbeiter aus Dr. Jochs Zeit mehr?«
»Bis auf mich hat er damit ja auch recht. Und es könnte ihm sicher schaden, wenn das alles noch mal diskutiert würde. Vielleicht käme ja dann doch heraus, dass er irgendwie an diesem Vorwurf von damals gedreht hat.«
»Glauben Sie, der Neunzehnjährige von damals hat im Auftrag von Herrn Dr. Eisenmenger gelogen?«
»Bestimmt.«
»Kennen Sie den Namen des Mannes? Wissen Sie, wie ich ihn finden kann?«
»Nein, tut mir leid.«
»Dr. Eisenmenger hat die Rechnung jedenfalls ohne die Polizei gemacht. Die werden ganz bestimmt an Herrn Dr. Jochs ehemaligem Arbeitsplatz Erkundigungen einholen.«
Frau Richter machte große Augen. »Die Polizei? Natürlich! Vorgestern war ein Streifenwagen auf dem Klinikgelände. Aber mit mir haben sie nicht gesprochen.«
»Und Ihr Chef? Mir gegenüber hat er so getan, als habe er von Jochs Tod nichts gewusst.«
»Ich habe keine Ahnung.«
Alban überlegte. Eisenmengers Überraschung hatte echt gewirkt. Vielleicht war das Auftauchen des Streifenwagens ja auch nur ein Zufall gewesen.
»Glauben Sie, ich kann Schwierigkeiten bekommen?«, fragte Frau Richter.
Alban schüttelte den Kopf. »Sicher nicht. Solange Sie nicht vorsätzlich die Unwahrheit sagen. Oder etwas Wichtiges verschweigen.«
Sie sah ihn an und lächelte.
»Eine Sache wüsste ich doch gern«, sagte Alban.
»Was denn?«
»Wie haben Sie mich und Herrn Dr. Eisenmenger vorhin belauscht? Die Tür war geschlossen.«
Frau Richter zuckte mit den Schultern. »Seine Stimme ist ziemlich laut. Und als ich dann den Namen Joch hörte …«
Er nickte, holte eine Visitenkarte hervor und gab sie ihr. Sie steckte sie so sorgfältig ein, als hätte Alban ihr ein wertvolles Geschenk gemacht.
»Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte er.
»Keine Ursache. Ich helfe Ihnen sehr gern.«
Eine Minute später verließen die beiden Wagen den einsamen Waldparkplatz. In der kleinen Siedlung bremste Frau Richter und bog rechts ab.
Als Alban sie überholte, winkte sie ihm verstohlen zu. Wie ein kleines Mädchen, das einen Streich ausgeheckt hat, dachte er.
8
Auf der
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