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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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letztlich zu der Partitur verholfen hatte. Dafür umriss er Bernardi, worum es sich handelte: um eine Arie auf einen Text, der schon einmal in einer Händel-Oper verwendet worden war.
    »Ich bin jetzt auf der Suche nach der Quelle dieser geheimnisvollen Partitur. Ich habe vermutet, dass Sie Musikwissenschaftler sind und mir vielleicht weiterhelfen können. Entweder mit Informationen über Herrn Dr. Joch oder indem Sie sich das Manuskript ebenfalls einmal ansehen.«
    Bernardi ließ ein kurzes Lachen vernehmen. »Eine spannende Geschichte, Herr Alban. Oder soll ich lieber sagen: Herr Kollege? Das ist ganz nach meinem Geschmack. Aber sagen Sie mir doch bitte: Warum fragen Sie Herrn Dr. Joch nicht selbst, woher er die Partitur hat? Habe ich da etwas missverstanden, oder wollten Sie mir auch sagen, dass Herr Dr. Joch nicht mehr lebt?«
    »Ganz recht. Dr. Joch ist tot. Er wurde ermordet. Haben Sie es nicht in der Zeitung gelesen? Der Tote auf der Baustelle …«
    »Baustelle? Der Mann, der mit der Beethovenfigur erschlagen wurde? Mamma mia!  … Er wurde ermordet, und Sie haben gewissermaßen die Partitur geerbt …«
    »So kann man es sagen«, bog Alban die Wahrheit zurecht. »Hätten Sie Zeit, sie sich anzusehen? Ich sehe, Sie wohnen nicht weit von hier.«
    Doktor Bernardi schien seinen Kalender zu wälzen. »Wie ich schon sagte, die Sache ist ganz nach meinem Geschmack. Wie wäre es gleich mit heute Abend?«
    »Sehr gerne. Darf ich Sie besuchen?«
    »Haben Sie schon etwas zum Abendessen vor? Wie wäre es, wenn wir uns in einem Restaurant treffen?«
    »Machen Sie einen Vorschlag.«
    »Kennen Sie die Bodega Dali in Rolandswerth?«
    »Ja, die kenne ich.«
    »Sagen wir, um halb acht? Ich reserviere einen Tisch.«

     
    Der Junge hatte schon oft das Gefühl, dass die Zeit nicht verrinnt, sondern steht, wenn er die Welt um sich herum genau im Auge behält. Nichts ereignet sich, alles ist starr, die Zeit dehnt sich zur Unendlichkeit. Sein Leben wird zu einer Zeitinsel, auf der er durch die Welt schwimmt und in der seine Gedanken kreisen.
    Manchmal hat er sich in einer solchen Zeitinsel verloren, voller Gedanken das Klavier aufgeklappt und ein paar Tasten angeschlagen. Dann kam es ihm vor, als hörte er die Töne zum ersten Mal.
    Ein Ton, dann noch ein Ton: Die Spannung des Intervalls wird zu einem Ereignis, über das er lange, sich immer weiter wie auf einer endlosen Spirale in seiner Zeitschleife drehend, nachdenken kann. Und wenn er irgendwann aus seinen Fantasien erwacht, ist es, als sei ein Stück der Zeit abgebrochen, fast mit Gewalt abgerissen worden. Und er kehrt zurück aus einem Nirgendwo, von irgendwoher, in dem Unendlichkeit herrscht.
    Irgendwann ist es dunkel geworden.

     
    Alban stellte den Volvo auf dem rechten Seitenstreifen der Rheinuferstraße ab und blickte in den Seitenspiegel, bevor er die Tür öffnete. Es war bereits dunkel, und die heranrasenden Wagen waren nur als grelle Doppelscheinwerfer zu erkennen. Er wartete auf eine Lücke im Verkehr, quetschte sich aus dem Wagen und lief hinüber zum Eingang der Bodega. Es ging ein paar Stufen hinab, dann kam er auf die kiesbestreute Terrasse, die zum Rhein hinausging.
    Im Sommer konnte man draußen sitzen und auf die Insel Nonnenwerth hinübersehen. Dort lag, umgeben von hohen Bäumen, das Franziskanerinnenkloster, an das ein Gymnasium angeschlossen war. Jetzt, im unwirtlichen Herbst, hatte die Terrasse geschlossen, die lang gestreckte Insel lag als unförmiges Gebilde im Dunkeln, und das Kloster war bestenfalls durch ein paar Lichter zu erahnen.
    Alban blieb stehen und blickte auf den dunklen Fluss. Ein Musikstück aus Leas CD begann in seinem Kopf zu klingen. Es war Liszts Elegie »Die Zelle von Nonnenwerth«, die vor etwa hundertfünfzig Jahren dort drüben auf der Insel entstanden war. Als Liszt sie Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben hatte, war der Rhein noch wilder und viel romantischer – ohne B9, von der der Verkehrslärm herunterschallte. Ohne Schnellzüge, die durch das Rheintal donnerten.
    Alban wandte sich von dem schwarzen Wasser ab und ging zum Eingang des Restaurants. Durch die Glastür drang warmes Licht. Im Inneren fragte er den Kellner nach dem für Bernardi reservierten Platz und wurde in einen Raum geführt, dessen Wände in einem sanften Gelbton gestrichen waren.
    Bernardi war bereits eingetroffen. Er legte eine Zeitung weg, in der er gerade gelesen hatte, erhob sich und gab Alban die Hand.
    »Herr Alban – ich freue mich,

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