Das Gift der Engel
bin hergekommen, um möglichst viel über Herrn Joch zu erfahren. Erlauben Sie mir, mich ein paar Minuten mit Ihnen zu unterhalten.«
»Aber was wollen Sie wissen?«
»Es geht nicht nur um seinen Tod, sondern auch um etwas anderes. Wo können wir ungestört sprechen? Das Krankenhaus hat doch eine Cafeteria …«
»Etwas anderes?«, fragte sie. »Etwas, das mit seinem Tod zu tun hat?«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
»Ich habe eine Dreiviertelstunde Mittagspause. Normalerweise verbringe ich sie zu Hause bei meiner Mutter.«
»Ich kann Sie hinbringen, und im Wagen unterhalten wir uns.«
Sie sah Alban prüfend an. »Nein, das ist nicht so gut. Ich habe mein eigenes Auto. Ich hole es und komme hier vorbei. Bitte fahren Sie mir dann einfach nach.«
Sie drehte sich um und ging auf hohen Absätzen davon. Offenbar gab es auf der anderen Seite einen Mitarbeiterparkplatz.
Alban blieb nichts anderes übrig, als in sein Auto einzusteigen und zu warten. Vor sich hatte er das Rheinpanorama, im Rückspiegel behielt er den Eingangsbereich der Klinik im Auge.
Mehrere Wagen rollten vorbei. Schließlich kam ein roter Polo, der kurz hinter Alban stoppte. Frau Richter saß am Steuer. Alban ließ sie vorbei, setzte zurück und folgte ihr.
Die Fahrt ging ein Stück über eine Hauptstraße das Tal hinauf. Nach wenigen Minuten bog der Polo in eine kleine Siedlung ein. »Georgenborn« las Alban auf dem Ortsschild. Sie durchquerten die kleine Ansammlung von Häusern und tauchten dann in herbstlichen Wald ein. Hinter einer lang gezogenen Kurve blinkte Frau Richter rechts und fuhr auf einen Wanderparkplatz. Alban registrierte, dass sie sich eine Ecke suchte, die von der Straße aus nicht sofort eingesehen werden konnte. Er ließ den Volvo behutsam über die platt gewalzte Erde rollen und stieg aus. Frau Richter stand bereits neben ihrem Wagen.
»Sie machen es aber geheimnisvoll«, sagte Alban.
»Das mag Ihnen so vorkommen. Aber in einem kleinen Ort wird viel geredet. Vor allem, wenn es um eine so delikate Geschichte geht.«
Frau Richter strich sich durchs Haar. Ihre Hand zitterte. »Mein Gott, ich kann es noch gar nicht glauben. Herr Dr. Joch ermordet …«
Alban sah sich um. Es war nicht besonders einladend hier. Pfützen standen auf dem Platz. Der Weg, der in den Wald abzweigte, war matschig. In tiefen Reifenspuren, die offenbar Waldarbeiterfahrzeuge hinterlassen hatten, hatte sich Wasser gesammelt. Alban hätte mit Frau Richter gern einen kleinen Spaziergang unternommen. Beim Laufen redete es sich besser. Aber weder Frau Richter noch er trugen Gummistiefel.
»Wäre es nicht vielleicht besser, wenn ich Sie zum Essen oder wenigstens zu einem Kaffee einlade?«, fragte er. »Hier auf diesem ungemütlichen Parkplatz – das ist doch kein Ort für ein Gespräch.«
Er ertappte sich dabei, wie er die Frau sachte am Oberarm berührte. Sie zuckte nicht zurück und schenkte ihm ein Lächeln. »Danke für Ihre Höflichkeit. Das findet man nicht sehr oft heutzutage …« Sie brach ab. Ein Auto fuhr auf der Hauptstraße Richtung Eltville vorbei. Frau Richter sah erschreckt auf und schien zu prüfen, ob man sie hier stehen sehen konnte. Doch diese hinterste Ecke des Wanderparkplatzes war vor Blicken geschützt.
»Was haben Sie damit gemeint – ›also doch‹?«, fragte Alban. »Was war mit Herrn Dr. Joch? Warum hat mich Herr Dr. Eisenmenger angelogen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Alban. Bitte erzählen Sie zuerst. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich muss wissen, ob ich Ihnen vertrauen kann.«
Alban ging die paar Schritte zum Wagen zurück und holte die Mappe mit der Partitur. Dann begann er zu erzählen. Frau Richter hörte ihm aufmerksam zu und nickte hin und wieder. Am Ende nahm Alban das Manuskript heraus und zeigte es ihr. Sie strich vorsichtig darüber – mehr ehrfurchtsvoll als neugierig.
»Ja, so war er«, sagte sie leise. »Er war hochgebildet, und die klassische Musik faszinierte ihn.«
»Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?«
»Nicht nur das. Wir sind zusammen ins Konzert gegangen. Und ins Staatstheater nach Mainz. Manchmal waren wir in einem der Konzerte des Rheingau Musikfestivals. Das waren herrliche Erlebnisse …«
»Hatte Herr Dr. Joch in seinem Bekanntenkreis jemanden, von dem er eine solche Partitur bekommen haben könnte?«
Frau Richter dachte nach. »Ich glaube, sein Bekanntenkreis bestand fast nur aus Menschen, die sich für Musik begeisterten. Aber er pflegte wohl keine
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