Das Gift der Engel
hier. Ich hatte kaum Gelegenheit, ihn näher kennenzulernen. Und über eine Partitur kann ich Ihnen gar nichts sagen. Sie werden auch sonst keinen Mitarbeiter mehr aus Jochs Zeit finden. Die Klinik ist in der Zwischenzeit an eine andere Betreiberfirma gegangen. Wir haben angebaut und auch personell viel verändert. Ich will Sie jetzt nicht mit den strukturellen Problemen eines Krankenhauses langweilen, aber Jochs Ära ist wirklich Geschichte. Und abgesehen davon: Wann hat er Ihnen denn die Partitur gegeben?«
»Vor ein, zwei Monaten«, sagte Alban ins Blaue hinein.
»Und zu dieser Zeit hat er sie womöglich auch selbst bekommen«, mutmaßte Dr. Eisenmenger.
Alban nickte. »Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Sogar wenn es hier jemanden geben sollte, der Herrn Joch noch gekannt hat, wüsste er wohl nichts über diese Partitur.«
»So ist es.«
»Ich hätte aber noch eine andere Frage. Wie kommt es eigentlich, dass sich Herr Dr. Joch so früh zur Ruhe gesetzt hat? Wenn ich das richtig sehe, war er zu diesem Zeitpunkt gerade mal fünfzig Jahre alt. Oder nein … er war erst neunundvierzig. Ziemlich jung, um zu privatisieren, oder?«
Dr. Eisenmenger zuckte die Schultern. »Da haben Sie recht, aber ich bin überfragt. Vielleicht war er finanziell von Haus aus gut gestellt. Vielleicht hat er im Lotto gewonnen. Ich kann es Ihnen nicht sagen.«
Alban dachte an Jochs Bruder, der offensichtlich nicht mit Reichtümern gesegnet war. Wenn Geld da war, kam es wohl nicht aus der Familie.
»Es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit in Anspruch genommen habe.«
»Ich bitte Sie«, sagte der Arzt. Er reichte Alban die Hand. »Aber vielleicht überlegen Sie es sich doch noch einmal mit einer Untersuchung. In Ihrem Alter …«
Als Alban auf den Parkplatz hinaustrat, kam ihm der Blick über den Rhein viel klarer vor. Der Himmel war aufgerissen und zeigte Streifen von hellem Blau. Das Beste war wohl, unten in Eltville irgendwo zu Mittag zu essen und dann nach Hause zu fahren. Er hätte sich bei Dr. Eisenmenger nach einem guten Restaurant erkundigen sollen.
Er zog den Autoschlüssel aus der Tasche, drückte auf den Knopf, und der schwarze Volvo signalisierte blinkend, dass er bereit war, seine Pforten zu öffnen. Gerade wollte Alban die Beifahrertür öffnen, da näherte sich eine Frau in einem hellbraunen Mantel. Alban erkannte sie nicht gleich, doch dann wurde ihm klar, dass es Dr. Eisenmengers Vorzimmerdame war.
»Herr Alban, entschuldigen Sie«, sagte sie und sah sich nervös um. »Mein Name ist Richter. Sie haben sich doch mit Herrn Dr. Eisenmenger über Herrn Dr. Joch unterhalten?«
Alban stutzte. Wie hatte sie das hören können? »Ganz recht. Ich bin ein Bekannter von ihm aus Bonn.«
»Wissen Sie …« Sie rang nach Worten.
»Ja?«, fragte Alban.
»Ich habe da etwas mitgehört, entschuldigen Sie …«
Alban nickte freundlich. »Was kann ich für Sie tun?«
»Stimmt es wirklich, dass Herr Dr. Joch ermordet wurde?«, brachte sie hervor. »Ich habe schon gedacht, ich hätte mich verhört.«
»Nein«, sagte Alban. »Es stimmt leider. Jemand hat ihn erschlagen.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Oh Gott, das ist ja entsetzlich. Wer hat das getan?«
»Die Polizei hat einen Verdächtigen festgenommen. Herrn Jochs Freund. Er hat die Tat aber bisher nicht zugegeben.«
Sie sah Alban ins Gesicht, und er konnte sehen, dass sich ihre Augen mit Tränen gefüllt hatten.
»Also doch …?« Ihr versagte die Stimme. Sie stand kurz davor, zu schluchzen.
»Was meinen Sie?«, fragte Alban und suchte in den Manteltaschen nach seinem Taschentuch. Die Frau war jedoch schneller und zog aus ihrer Handtasche ein blauweißes Plastikpäckchen hervor. Sie schnäuzte sich, sah sich dann unsicher um und schüttelte wieder den Kopf.
»Haben Sie Herrn Joch gekannt?«, fragte er.
»Allerdings. Ich bin auch schon seine Sekretärin gewesen.«
»Tatsächlich? Warum hat Herr Dr. Eisenmenger dann gesagt, es gäbe hier keine Mitarbeiter mehr aus Dr. Jochs Dienstzeit?«
Sie sah Alban überrascht an. »Das hat er gesagt?«
»Allerdings.«
Sie verzog verärgert den Mund und schüttelte den Kopf. »Eigentlich wundert es mich nicht.«
»Was heißt das?«
Sie zögerte und sah Alban ernst an. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen kann.«
Er sah eine Weile zu, wie Eisenmengers Sekretärin unschlüssig den Asphalt anstarrte, und fragte sich, warum sie ihm eigentlich nachgelaufen war.
»Bitte, Frau Richter, tun Sie mir den Gefallen. Ich
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