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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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sagen.«
    »Viel schlimmer ist, dass gleich zwei Wissenschaftler das Stück nicht gerade besonders interessant finden. Die Arie ist künstlerisch wahrscheinlich wirklich Schrott. Damit musst du dich abfinden. Auch wenn sie uns gefällt.«
    Alban sog hörbar die Luft ein. »Schrott? Das würde ich so nicht sagen.«
    Er hatte so deutlich die Stimme erhoben, dass Simone überrascht aufschaute. »Aber …«, begann sie.
    »Nichts aber«, sagte Alban gereizt. »Was diese Musikwissenschaftler von sich geben, muss nicht unbedingt stimmen.«
    »Ich denke, die haben Ahnung von der Materie? Du selbst sagst doch immer, dass man sich bei der Beurteilung von Musik nicht nur auf seinen eigenen Geschmack verlassen darf. Man muss Vergleiche anstellen. Man muss etwas wissen. Ich erinnere mich an die Diskussion, als ich unten in der Küche immer Eins Live gehört habe.«
    Alban nickte. An diese Diskussion erinnerte er sich auch. »Trotzdem hat es schon viele Irrtümer in der Musikwissenschaft gegeben.«
    »So?«
    »Ich gebe dir ein Beispiel.« Er marschierte auf seinen Bücherschrank zu, suchte eine Weile, zog endlich einen alten, schmalen Band hervor und blätterte nervös. Er fand die gesuchte Seite und hielt sie Simone hin.
    Sie nahm das Buch und sah sich den Umschlag an. »Musik im Leben«, sagte sie.
    »Es ist ein Schulbuch für den Musikunterricht«, erklärte Alban. »Aus den siebziger Jahren. Schau dir die Seite an, die ich herausgesucht habe.«
    »Da sind Noten.«
    »Und was steht darüber?«, fragte Alban.
    »Anfang des Streichquartetts F-Dur. Haydn.«
    »Oben auf der Seite gibt es Text. Was schreiben sie über das Stück?«
    »Mein Gott, Nikolaus, kannst du mir nicht einfach sagen, worauf du hinauswillst, anstatt hier den Schulmeister zu spielen?«
    Alban nahm ihr das Buch aus der Hand und las: »Das Streichquartett stammt aus Haydns Frühzeit, zeigt ihn aber schon als einen der Großen.«
    »Und?«
    »Das Stück, das hier als typisches Streichquartett von Haydn durch die Schulen geistert, ist gar nicht von ihm. Das weiß man mittlerweile. Damals wusste man es noch nicht.«
    Simone konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Von wem ist das Stück denn dann?«
    »Von einem Zeitgenossen, den heute kein Mensch mehr kennt. Er heißt Roman Hoffstetter.«
    »Und warum haben die Leute gedacht, dass es von Haydn ist?«
    »Weil ein Verleger im 18. Jahrhundert das Stück einfach unter Haydns Namen drucken ließ. Haydn war damals schon ziemlich berühmt, und man versprach sich dadurch mehr Umsatz. Auch in der hehren klassischen Musik geht es darum, Geld zu verdienen. Dieses Missverständnis der Musikwissenschaft ist übrigens kein Einzelfall. Man hat den großen Meistern einiges irrtümlich zugeschrieben und dann Doktorarbeiten darüber verfasst, wie genial diese Werke doch seien. Ich kann dir da viele Beispiele nennen.«
    Simone streckte ihre Beine. »Erspar es mir bitte. Ich hab es auch so verstanden. Genialität ist also subjektiv. Das merke ich mir. Was hat das jetzt alles mit deiner Partitur zu tun?«
    »Es ist genau umgekehrt wie bei Haydn. Damals stand ein berühmter Name im Raum, und die Wissenschaft lag dem Stück sofort zu Füßen. Hier gibt es keinen Namen, weder berühmt noch unbekannt, und niemand will sich darum kümmern. Ich versichere dir, wenn jemand Haydn, Händel oder Beethoven draufgeschrieben hätte, würden sich alle darum reißen.«
    Simone zog die Beine wieder an, stellte die Füße auf den Sessel und verschränkte die Arme um die Knie. Alban ertappte sich dabei, dass er feststellte, wie reizvoll sie dabei aussah – trotz ihrer Freizeitkleidung. Oder gerade deswegen?
    »Nikolaus, warum machst du es dir so schwer? Das Stück gefällt dir. Und ich denke, das reicht. Genau das lernen wir doch aus der Sache: Musik ist in erster Linie dazu da, dass sie einem gefällt. Wer auch immer sich damit beschäftigt – er tut es, weil er von Musik fasziniert ist. Wenn es nicht so wäre, wenn es nur darum ginge, was man aus diesen Notenzeichen herauslesen kann, dann könnte auch ein Gehörloser Musikwissenschaft studieren. Hauptsache, er kann Noten lesen und hat irgendwelche Regeln gelernt und kann analysieren. Aber versteht er dann etwas davon?«
    Alban nickte nachdenklich. Simone hatte recht – mehr, als sie vielleicht ahnte.
    Sie erhob sich und ging mit federnden Schritten zur Tür. »Forsch weiter«, sagte sie. »Du wirst es schon schaffen. Wenn ich dir helfen kann, sag Bescheid. Ich gehe jetzt schlafen. Gute

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