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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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Ihre Bekanntschaft zu machen.«
    Der Italiener war schwarzhaarig, schlank und groß gewachsen. Er trug einen edlen dunklen Anzug und ein weißes Hemd, allerdings keinen Schlips. Stattdessen zeigte sich ein dünnes Goldkettchen an seinem Hals. Der Chromrand seiner Brille biss sich unangenehm mit dem Gold.
    »Bin ich zu spät?«, fragte Alban. »Ich hoffe, Sie warten nicht schon lange.«
    »Aber nein.« Bernardi blieb stehen, bis sich Alban gesetzt hatte. Der Kellner legte die Speisekarten hin.
    »Waren Sie schon einmal in diesem Restaurant?«, fragte er, während er die Karte studierte.
    »Ja, aber es ist ein paar Jahre her. Es war ein geschäftliches Treffen mit dem Redakteur einer Musikzeitschrift.«
    Der Dottore winkte dem Kellner, und dann folgte ein langwieriger Bestellvorgang – mit Vorspeisen, Nachspeisen und Wein. Erst als alles unter Dach und Fach war und Ajoli mit Brot auf dem Tisch stand, entschloss sich Alban, zur Sache zu kommen.
    »Lehren Sie an einer Universität hier in der Gegend?«, fragte er. »Oder was hat Sie als Italiener ins Rheinland verschlagen?«
    Bernardi saß entspannt auf seinem Stuhl, den Oberkörper leicht zurückgelehnt, und kaute an einem Stück Weißbrot.
    »Die Arbeit an einer Universität – das habe ich hinter mir. Ich bin letztes Jahr sechzig geworden. Ich habe mich zurückgezogen.«
    Alban staunte. Das hätte er nicht gedacht. Bernardi konnte durchaus als Endvierziger durchgehen. Na ja, dachte Alban. Die schwarzen Haare sind sicher gefärbt. Und wenn man dann noch so schlank ist …«
    »Ich stamme aus Rom«, fuhr der Dottore fort. »Aber ich kam schon in den sechziger Jahren nach Deutschland. Zum Studium.«
    »Ist es nicht viel schöner, in Rom Musikwissenschaft zu studieren?«
    Bernardi schüttelte den Kopf. »Schöner ja, aber dort herrschte damals nicht die geringste Fachkenntnis. In Deutschland sah das ganz anders aus. Hier gibt es eine richtige Tradition in diesem Fach. Die Italiener interessieren sich doch nur für die Oper.«
    »Die Oper ist auch Musik.«
    »Aber sie geraten dann sofort in unwissenschaftliche Schwärmerei … Später hat sich das allerdings geändert. Ich bin dann nach Italien zurückgegangen und habe in Mailand an der Universität unterrichtet.«
    »Trotzdem hat es Sie wieder nach Deutschland gezogen.«
    »Die deutsche Kultur fasziniert mich. Aus Deutschland kommen die ganz Großen: Bach, Beethoven, Brahms.«
    »Wie haben Sie Herrn Dr. Joch kennengelernt?«
    »Das ist schon lange her. Wir trafen uns in den Sechzigern an der Kölner Universität. Joch hat musikwissenschaftliche Vorlesungen besucht, obwohl er Medizin studierte. Wir haben uns dann lange aus den Augen verloren. Dann traf ich ihn durch Zufall wieder. Ich hatte damals ein Haus in der Nähe von Siena. Eines Tages gehe ich über den Marktplatz – und da sehe ich ihn in einem Café sitzen. Er hat mich sofort wiedererkannt. Ich ihn allerdings nicht.« Bernardi strich sich lächelnd über den Kopf. »Seine Haare, verstehen Sie? Er hatte sie verloren.«
    Alban nickte. Ein Glatzkopf. So hatte er Joch in Erinnerung.
    »Ab und zu trafen wir uns, wenn er in die Toskana kam. Und dann schrieb er mir einen Brief. Er lud mich zu einem musikwissenschaftlichen Vortrag nach Deutschland ein. Wir haben dann zusammen einen Verein gegründet. Man sagt, das sei in Deutschland so üblich, wenn man gemeinsame Interessen vertritt.«
    »Handelt es sich um diesen Verein hier?«, fragte Alban und griff nach dem Fax von Frau Richter.
    »Darf ich mal sehen?«, fragte der Dottore.
    Alban hielt ihm das Blatt hin, und Bernardi lächelte wehmütig. »Ja, das waren noch Zeiten. Sieglinde van Bergen. Die kennt heute niemand mehr.«
    »Ist sie nicht weiter von Ihnen unterstützt worden?«
    »Ich glaube, das war das einzige Konzert, das unser Verein überhaupt organisiert hat. Wo haben Sie das her? Von Herrn Joch?«
    »Herr Joch hat eine Bekannte in dieses Konzert einladen wollen, und sie hat das Programm noch gehabt … Was meinen Sie damit, dass dies das einzige Konzert war? Gibt es den Verein nicht mehr?«
    »Schon lange nicht mehr. Sehen Sie – unten auf dem Blatt finden Sie den Namen Therese von Schaumburg. Kennen Sie sie?«
    »Nein.«
    »Sie ist eine Adlige vom alten Schlag, wie man auf Deutsch so schön sagt. Preußisch, sehr korrekt. Sie ist sehr, sehr alt. Das war sie damals schon. Zu alt, um sich weiter um den Verein zu kümmern. Wenn sie noch lebt, was ich bezweifle, muss sie heute über hundert Jahre alt

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