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Das Gift der Engel

Das Gift der Engel

Titel: Das Gift der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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wurde ihm klar, was Simone meinte. »Natürlich – der erste Sonntag im Monat ist heute.«
    »Du hast’s erfasst. Mensch, Nikolaus. Erst die Sache mit dem Stempel auf dem CD-Beiblatt, dann die Tür, die nicht abgeschlossen war, und jetzt das. Ich wusste doch, dass man dich mit dieser Geschichte nicht allein lassen kann. Gut, dass du mich hast.«
    Das Haus war dreigeschossig; mit Wohnungen in den oberen Stockwerken. Das Erdgeschoss füllte eine breite Glasfront aus. Über der Eingangstür formten rote Neonbuchstaben einen Schriftzug.
    »Lisas Friseursalon«, las Simone.
    Links neben der Fensterscheibe war ein weiterer Eingang mit einer Klingelleiste. Hier ging es zu den Wohnungen.
    Alban stellte sich an die Scheibe und nahm das Innere in Augenschein. Die Stühle, in denen werktags die Kundinnen saßen, standen in Reih und Glied vor einer Spiegelfront, die sich im hinteren Bereich des Ladens verlor. Vorne war ein leerer Tresen zu erkennen, auf dem sich ein paar bunte Sparschweine tummelten.
    »Hast du mal überlegt, Friseuse anstatt Gärtnerin zu werden?«, fragte Alban.
    »Ich glaube, es heißt ›Friseurin‹. Aber abgesehen davon: Ich habe so einen Laden noch nie betreten. Ich schneide mir meine Haare alle paar Wochen selbst, und dieser ganze Schnickschnack mit Färben und Legen und so weiter – da pfeif ich drauf.«
    Alban studierte die Klingelschilder an der Haustür.
    »Sollen wir alle Leute rausklingeln und fragen, ob sich hier irgendwo Dichterinnen treffen?«, fragte Simone.
    »Das wäre grob unhöflich.« Alban trat wieder ein Stück zurück.
    »Was schlägst du dann vor? Sollen wir hier warten? Ohne zu wissen, auf was oder wen?«
    »Wenn sich der Club noch trifft, müsste ja über kurz oder lang hier eine Frau raus- oder reingehen. Und die erste, die auftaucht, werden wir ganz einfach fragen.«
    »Das ist nicht dein Ernst.« Simone streckte die Hand aus und drückte auf die Klingeln. Sie wartete. Nichts geschah. »Wir haben es wenigstens versucht«, sagte sie. »Jetzt können wir von mir aus ein bisschen warten.«
    Sie spazierten auf der Straße herum. Kaum jemand war zu sehen. Dafür rollte umso mehr Verkehr an ihnen vorbei.
    Jemand rief Albans Namen. Es war Simone. Er sah sich um und bemerkte, dass er in Gedanken drei Häuser weit gelaufen war.
    »Nikolaus«, rief Simone wieder, und schon war sie zu ihm gesprintet.
    »Was ist los?«
    »Meine Güte, warum hörst du mich nicht? Ich habe was gesehen. In dem Friseursalon sind Leute.«
    Alban drehte sich um und ging mit schnellem Schritt zurück. Simone lief voran.
    Er blieb vor der Scheibe stehen und sah nichts außer den Stühlen und dem Tresen.
    »Sie sind ganz hinten vorbeigegangen«, sagte Simone. »Da, schau doch.«
    Am Ende des Raumes stand eine Tür offen. Plötzlich ging in dem Zimmer dahinter Licht an. Unmittelbar danach kam eine Frau heraus und ging nach hinten weg.
    »Da sind noch mehr. Sie sind nicht von draußen reingekommen. Vielleicht haben sie sich zuerst in einer Wohnung im Haus getroffen und sind dann runtergegangen.«
    Die Frau kam zurück, ohne Alban und Simone zu bemerken. Sie hatte jetzt einen Schreibblock in der Hand. Zielstrebig ging sie zurück in das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Der Lichtschein verschwand. Der Laden lag genauso verlassen da wie vorher.
    »Wenn wir an die Scheibe klopfen, hören die uns bestimmt nicht«, sagte Simone. Sie ging zur Haustür und klingelte wahllos. Diesmal drückte sie mindestens zehn Sekunden lang auf den Knöpfen herum. Plötzlich summte es, und sie konnten das Treppenhaus betreten. »Siehst du, man muss nur penetrant genug sein.«
    Über einen Gang gelangten sie zu einer Hintertür, die auf einen Hof führte. Simone umkurvte eine Kompanie Mülltonnen und wies auf eine weiß gestrichene Mauer auf der rechten Seite – die Seitenwand eines Hinterhauses. Es gab ein Fenster und eine weitere Tür; durch das Fenster waren einige Frauen zu sehen, die im Kreis saßen. Jede hatte einen Block oder ein Notizbuch auf dem Schoß.
    Das Fenster war gekippt. Alban konnte hören, was in dem Raum gesprochen wurde. Eine Frau trug etwas vor.
    »Die Zacken meiner Sehnsucht spießen in die Herzen«, las sie, »und Blut gerinnt mit Wasser, Träumen aufgemischt. Wenn die Schmerzen weichen, lehne ich mich an.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause und fügte hinzu: »An dir.« Die Vorleserin war sehr jung, höchstens zwanzig.
    »Das war ein schönes Gedicht, Jasmin«, sagte eine andere Frau. Sie war deutlich

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