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Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Titel: Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Kelly
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Parkgebühr gezahlt haben dürfte, und ich fragte mich, ob der National Trust oder wem der Parkplatz dort sonst gehören mochte, sich in Selbstmordfällen wohl die Mühe machte, die überfälligen Gebühren einzutreiben. Ein Lachen, das wie Erbrochenes schmeckte, blieb mir im Hals stecken, und die Erkenntnis dessen, was sie getan hatte– getan haben musste–, überwältigte mich. Ich marterte mich mit der Vorstellung, wie meine Freundin oben an der schwindelerregenden Kante stand. Ich erinnerte mich, wie sie davon geredet hatte, elegant in den Tod zu schweben. Ich hatte es als eine ihrer effekthascherischen, schauspielerhaften Übertreibungen abgetan, und ich wusste, wenn sie dort gesprungen oder über die Kante getreten war oder ihren Körper hinuntergeschleudert hatte, dann hatte sie es nicht schmollend getan, sondern erfüllt von Zorn und Trauer und Verzweiflung, wie ich sie mir nicht annähernd vorstellen konnte. Es fühlte sich an, als sei ich es, die da in die Tiefe stürzte.
    » Karen?«, rief Dad immer wieder. » Karen, Kind?«
    » Jemand muss es gestohlen haben«, sagte ich. » Ich war noch nie bei Beachy Head.«
    » Genug ist genug«, sagte mein Dad. » Wir wissen, es war eine schwere Zeit für dich, aber du musst jetzt nach Hause kommen. Komm einfach nach Hause. Bitte.« Seine Stimme brach.
    Alice sog die Lunge voll Luft. Ich verabschiedete mich hastig und unzureichend und legte auf, als meine Eltern immer noch redeten.
    Ein unerträgliches Gefühl der Verantwortung verschärfte meinen Schmerz, und ich wusste, ich würde diese Bürde meiner Schuld so sicher tragen müssen, wie ich die kleine Waise auf dem Arm trug. Eine neue Woge der Verzweiflung überrollte mich, als ich begriff, dass ich Rex einen Schmerz von ganz ähnlichen Ausmaßen würde zufügen müssen. Ich würde es ihm sagen müssen. Ich ertrug es nicht, mir sein Gesicht vorzustellen, wenn ihm klar würde, dass sein furchtbares Opfer und die Jahre der anbetungsvollen Plackerei zunichtegemacht worden waren. Es würde ihm alle Kraft rauben, die er noch hatte. Wie würde er überleben ohne den Ansporn, seine Schwester zu beschützen? Der Verlust des Hauses, der Verlust seiner Freiheit bedeutete daneben nichts. Alice öffnete den Mund und fing an zu schreien, und ich ließ den Kopf gegen die Sofalehne zurücksinken und weinte genauso laut wie sie. Der Nachbar hämmerte an die Wand und rief, wir sollten mit dem Lärm aufhören. Ich griff nach dem Wasserglas, das den letzten Rest des Weins enthielt, den wir zusammen getrunken hatten, und schleuderte es an die Wand. Er zerbrach säuberlich in drei Teile, und der Wein rieselte an der Wand herunter. Der pflaumenfarbene Fleck war durchscheinend wie ein Aquarell.
    Das Rathaus, Camden Town Hall, macht von außen nicht viel her. Der Eingang liegt in einer unauffälligen Seitenstraße in der Nähe des Bahnhofs St. Pancras, und die Fassade ist aus einem dunkelgrauen Beton, der selbst im strahlendsten Sonnenschein immer aussieht, als habe es darauf geregnet. Aber drinnen erweckt eine Marmortreppe wie aus einem italienischen Palazzo das Gefühl von majestätischer Größe und besonderem Anlass. Sie teilt das Atrium in zwei Hälften, und sämtliche Funktionsräume erreicht man über sie. Weil ich zu früh zu meinem Termin gekommen war, spazierte ich mit Alice die Treppe hinauf und hinunter und forderte sie auf zu raten, was wohl hinter den verschiedenen Türen vor sich ging. Dass jemand hören könnte, wie ich einem vierwöchigen Säugling rhetorische Fragen stelle, kümmerte mich nicht. Ich spielte meine Rolle als ihre Mutter erst seit ein paar Tagen, und schon verlor ich die Befangenheit, die mich anfangs gezwungen hatte, nur flüsternd in Babysprache mit ihr zu reden, damit niemand es hören konnte.
    Eine Hochzeitsgesellschaft platzte lachend und jubelnd aus der nächstgelegenen Tür. Es war nur eine Handvoll Gäste– alle im gleichen Alter, was vermuten ließ, dass sie Freunde waren, keine Verwandten. Die Braut trug ein langärmeliges Hemdkleid, das bis zu den Knien reichte, und anstelle eines prachtvollen Bouquets hatte sie nur ein winziges Rosensträußchen in der Hand. Mit Baby und Rucksack befrachtet, war mir, als hätte ich noch nie eine so freie und unbeschwerte Frau gesehen. Ein Wunder, dass sie immer noch mit beiden Füßen auf dem Boden stand. In ihrer Lage hätte ich ganz sicher fliegen können. Oben an der Treppe küsste sie ihren Bräutigam, und ihre Freunde jubelten und applaudierten und

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