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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Doyle
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Hand an den Rand seines Homburgs, wollte ihn abnehmen, aus Pietät gewissermaßen, denn der Tod war für ihn noch immer keine Routineangelegenheit geworden, obwohl er schon oft mit Toten zu tun gehabt hatte. Doch zuallererst war dies hier Arbeit, ein Fall. Da war keine Zeit für Sentimentalitäten.
    Und doch durchzog ein leises Zittern den Körper des Kriminalbeamten. Es war einfach ein trauriger Anblick, einen so jungen Menschen tot vor sich liegen zu sehen. Der Junge lag da mit weit aufgerissenen Augen und leicht offen stehendem Mund, und die jetzt dichter fallenden Schneeflocken senkten sich auf sein Gesicht, wo sie liegen blieben und nicht schmolzen. Er war ärmlich gekleidet. Die Hose war zerschlissen, der Mantel fleckig und voller Löcher, die Schuhe zerrissen.
    Wie alt mochte der Knabe wohl sein? Vielleicht neun oder zehn Jahre.
    »Wie lange liegt er schon da?«, fragte er, ohne den Blick zu heben.
    »Mindestens die halbe Nacht«, sagte der Uniformierte. »Der Boden unter ihm ist noch trocken. Gegen zwei Uhr hat es angefangen zu schneien …«
    »Woran ist er gestorben?«
    »Sehen Sie mal, Herr Inspektor«, sagte der Mann in Zivil und kniete sich neben den Leichnam. Der Mann trug dünne Handschuhe, neben ihm stand eine Arzttasche, ungeöffnet. Er fasste dem Jungen in den offenen Mund und holte etwas hervor. Dann hielt er das kleine braune Etwas in die Höhe.
    »Was ist das?«, fragte Wanner.
    »Ein Stückchen Lebkuchen.«
    »Ja und?«
    Der Arzt wandte sich an den Uniformierten, der einen kleinen Briefumschlag in der Hand hielt. Der Beamte nahm das Lebkuchenstück und steckte es in den Umschlag.
    »Sehen Sie mal hier«, sagte der Arzt.
    Er hatte den Mund des Toten geöffnet und zog die Zunge heraus. Sie war dunkel verfärbt.
    »Blaue Zunge«, sagte der Arzt. »Das sieht mir doch recht deutlich nach einer Vergiftung aus.«
    »Vergiftete Lebkuchen?«, wandte sich Wanner an den Oberrat.
    Schreiber zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Einstweilen wissen wir gar nichts. Weder, ob der Junge vergiftet wurde, und schon gar nicht, ob das Stück Lebkuchen daran schuld ist.«
    »Morgen werden wir mehr wissen«, sagte der Arzt, »wenn ich ihn aufgeschnitten habe.«
    Wanner sah den Arzt irritiert an. Der stand jetzt auf und sagte zu dem Uniformierten: »Sie werden ihn wohl hier forttragen müssen, mit dem Wagen kommen wir nicht in den Graben.«
    Der Beamte beugte sich hinunter und fasste nach der Leiche.
    »Halt!«, sagte Wanner.
    Man sah ihn überrascht an.
    »Ist er hier hingelegt worden, nachdem er tot war, oder ist er selbst zu dieser Stelle gelaufen?«
    Der Uniformierte zuckte mit den Schultern.
    »Wir müssen nach Spuren suchen«, sagte Wanner.
    »Spuren gibt’s viele«, sagte der Wachtmeister. »Die Leute, die die Leiche gefunden haben, sind hier überall herumgetrampelt.«
    »Welche Leute denn?«
    »Ich weiß nicht. Es müssen mehrere gewesen sein. Sie haben einen Jungen zu uns geschickt.«
    »Wo ist der Junge jetzt?«
    »Der ist gleich wieder entwischt.«
    Wanner seufzte. Der Wachtmeister hob den kleinen Körper hoch und warf ihn sich über die Schulter.
    »Vorsicht!«, mahnte der Arzt. »Sie brechen ihm noch das Genick. Kommen Sie.« Er ging voran, der Wachtmeister folgte ihm.
    Wanner spürte den stechenden Blick des Oberrates.
    »Ich möchte, dass sie diesen Fall sorgfältig untersuchen und nur mir Bericht erstatten. Sie arbeiten allein.«
    Damit wandte er sich ab und ging hinter den anderen her.
    Wanner starrte auf die Stelle, wo der Leichnam des Jungen gelegen hatte. Die Konturen des Körpers waren im Schnee deutlich zu erkennen. Immerhin, dachte er zufrieden, damit bin ich meinen Überwachungsauftrag am Hauptmarkt los. Außerdem arbeitete er sowieso am liebsten allein.

2 PRÜGEL IM HINTERHOF
    »Wie bitte? Ein Franzose?«
    »Ja, Friedrich.«
    »Was zum Donnerwetter soll ich denn mit einem Franzosen?«
    »Aber Friedrich …«
    »Da könnt ihr mir ja gleich einen Affen schicken!«
    »Nicht doch …«
    »Wie soll ich mich denn überhaupt mit ihm verständigen?«
    »Aber er spricht doch Deutsch.«
    »So?«
    Der dicke Bäckermeister sah seine Frau skeptisch an. Sie standen in der Backstube vor dem großen Tisch in der Mitte, auf dem ein großer Teigberg lag. Der Teigberg war fast so voluminös wie der Bauch des Bäckers, der sich über der mehlbestäubten karierten Hose wölbte. Seine Frau war klein und zierlich. Sie schaute ängstlich zu ihm hinauf. Dann warf sie einen Blick durch die halb geöffnete Tür in

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