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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Doyle
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den Verkaufsraum.
    Der Mann, von dem sie sprachen, wartete geduldig vor dem Verkaufstresen. Jacques Pistoux besah sich das Gebäck in der Glasvitrine. Jetzt am frühen Abend war fast alles verkauft. Nur noch ein paar Haselnusskipferl, wenige Heidesand-Taler und viel Schwarzweißgebäck lagen auf den Backblechen.
    Der große Mann mit dem dunklen Teint des Südfranzosen und dem stolzen schwarzen Schnurrbart trug abgenutzte Kleider und darüber einen zu dünnen Mantel. Er hatte die Bäckerei Dunkel in der Wunderburggasse betreten und auf Deutsch mit leichtem wienerischem Einschlag und starkem französischen Akzent nach Arbeit gefragt.
    »Das ist schön«, hatte Frau Dunkel gesagt, nachdem Pistoux sich vorgestellt hatte. »Ich werd’s gleich meinem Mann sagen.«
    Aber nun standen sie schon eine ganze Weile diskutierend in der Backstube. »Aber hast du nicht gesagt, du brauchst einen Gehilfen?«
    »Ja schon, aber was soll ich mit einem Franzosen?«
    »Es ist nicht Napoleon, Friedrich.«
    »Trotzdem … was will er denn in Nürnberg?«
    »So frag ihn doch selbst.«
    Der Bäckermeister griff nach dem Teigberg und begann, ihn verbissen durchzukneten. Seine Frau stand neben ihm, strich sich mit der Hand über die weiße Schürze und sah ihn stirnrunzelnd an.
    Pistoux besah sich geduldig den Adventkranz, der auf dem Verkaufstresen stand. Zwei Kerzen waren bereits angezündet worden.
    »Was kann schon ein französischer Bäcker …?«, nörgelte Friedrich Dunkel in der Backstube.
    »Er ist kein Bäcker, er ist Koch.«
    »Ein Koch? Was soll ich mit einem Koch?«
    »Er versteht sich auch auf Zuckerbäckereien. Er hat in Wien gelernt.«
    Dunkel hörte auf zu kneten und spähte durch die halb geöffnete Tür in den Laden.
    »In Wien hat er gelernt?«
    »Aber ja.«
    Dunkel strich sich den Teig von der Hand, griff in eine Kiste und stäubte eine Hand voll Mehl über den Tisch.
    »Er soll reinkommen.«
    »Na siehst du«, sagte die Frau des Bäckers und lief eilig in den Laden.
    Pistoux hatte sich umgedreht. Das Gespräch hatte ihm zu lang gedauert. Er hatte sich schon darauf eingestellt, woanders sein Glück versuchen zu müssen. »Kommen Sie, Herr Pistel, er will mit Ihnen reden«, sagte Frau Dunkel.
    Der Angesprochene drehte sich um.
    »Pistoux«, korrigierte er sie. »Ich heiße Pistoux.«
    »Aber ja, nun kommen Sie.«
    Er folgte ihr in die Backstube. Der Bäckermeister knetete jetzt eifrig den Teig. Ab und zu blickte er kurz auf, mit mürrischem Gesicht, ungnädig.
    »Sie sind also von Haus aus Koch?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Und Franzose noch dazu?«
    »Jawohl.«
    »Was hat Sie nach Nürnberg verschlagen?«
    Pistoux überlegte einen kurzen Moment. »Ich bin auf Wanderschaft«, sagte er dann.
    Friedrich Dunkel blickte seine Frau an: »Ist er nicht zu alt dafür?«, fragte er.
    »Aber nein, Friedrich, bedenke doch, in welchen Zeiten wir leben … noch dazu als Franzosen.«
    Was immer sie damit meinte, es schien dem Bäcker zu genügen.
    »Und in Wien sind Sie gewesen?«, fragte er weiter.
    »Ja.«
    »Und verstehen sich auf Zuckerbäckereien?«
    »Ein wenig.«
    Dunkel stemmt die Hände in den Teig und richtete sich auf. »Es ist alles da, was Sie brauchen«, sagte er. »Der Ofen hat noch genügend Hitze. Zeigen Sie mir, was Sie können.« Und schon knetete er weiter, ohne Pistoux eines weiteren Blickes zu würdigen.
    Pistoux sah die Frau des Bäckers fragend an. Sie nickte. Schnell zog er sich den Mantel aus. Sie reichte ihm eine Schürze, die sie von einem Haken an der Wand nahm und deutete auf die Regale, auf denen sich hölzerne und tönerne Gefäße jeder Art und Form befanden, manche beschriftet, andere nicht.
    Mit zwei Blicken erfasste Pistoux die Lage. Er holte feines Mehl aus der Mehlkiste, wog es ab, fand Zucker, fragte die Frau nach Vanilleschoten, fand ein Fläschchen Kirschwasser und ließ sich kalte Butter bringen. In kürzester Zeit war der Teig fertig. Aus der einen Hälfte des Teigs formte er kleine Kipferl und legte sie auf ein Backblech. Die andere Hälfte würzte er mit Kardamom, Zimt und Nelken, rollte den Teig aus, stach Rosetten aus und legte sie auf ein zweites Blech. Die Hälfte der Rosetten bekam ein Loch in der Mitte. Die Bleche schob er in den Ofen. Schon nach einer Viertelstunde war es so weit. Er holte die Bleche wieder heraus, bestrich die Rosetten ohne Loch mit Johannisbeergelee und legte die anderen darauf. Dann besträubte er die Plätzchen und die Kipferl vom andern Blech mit Vanillezucker und trat

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