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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Stirn.
    Â»Tante Marie hat ihre ersten Kugeln mit weißen Eiskristallen verziert«, warf Wanda ein. »Und an Weihnachten hat Tante Johanna den Christbaum damit dekoriert. Sie sind wirklich wunderschön.«
    Â»Diese Kugeln hängen jedes Jahr an unserem Baum, ohne sie wäre es kein Weihnachten«, fügte Johanna hinzu.
    Â»Wie romantisch«, hauchte Ruth. Dann drückte sie Johanna einen Kuß auf die Wange. »Wie schön, daß ihr die alten Traditionen wahrt! Ach, es tut so gut, wieder zu Hause zu sein! Auch wenn der Anlaß mehr als traurig ist …« Ihr Blick wanderte hinüber zu Wanda und Sylvie. Nach einem tiefen Seufzer straffte sich ihr Körper, und ein fast verschmitztes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht.
    Â»Weißt du noch, Johanna, wie ich damals mit Maries Kugeln nach Sonneberg gegangen bin, um sie Woolworth zu zeigen?« Sie schüttelte den Kopf. »Der große amerikanische Geschäftsmann – alle wollten Verträge mit ihm abschließen. Und dann kam ich daher mit Christbaumkugeln, die eine Frau geblasen hatte. Du meine Güte, was war ich aufgeregt! Ihn überhaupt erst einmal zu fassen zu kriegen war eine Kunst. Aber am Ende ist es mir ja gelungen.« Sie schaute triumphierend von Johanna zu Peter. »Das habt ihr mir damals nicht zugetraut, was? Daß ausgerechnet ich es sein würde, die den Karren aus dem Dreck zieht?«
    Peter zuckte mit den Schultern. »Johanna war zu dieser Zeit sehr angeschlagen, sonst hätte sie bestimmt auch den Mut gehabt. Weißt du nicht mehr, was dieser elende Verleger mit ihr angestellt –«
    Â»Peter!« unterbrach Johanna ihn. Ihre Augen funkelten wütend. »Du hast schon recht, Ruth«, sagte sie. »Was du damals getan hast, war wirklich sehr mutig. Und unsereRettung! Aber sehr bald danach habe ich die Zügel übernommen, das mußt du mir zugestehen.«
    Konsterniert schaute Wanda von einer zur anderen. Mußten die beiden ihre alten Rivalitäten jetzt schon ausgraben? Mutter war noch keinen halben Tag da! Es war doch völlig gleichgültig, wer damals welchen Stein ins Rollen gebracht hatte.
    Ruth war inzwischen zum nächsten Bolg weitergegangen, wo Johannes gerade dabei war, im Akkordtempo Glaskugeln zu blasen. Ihre Finger glitten über die perfekt runden durchsichtigen Formen.
    Â»Wie hat Marie immer gesagt: Jede Kugel ist wie eine kleine Welt. Es gibt kein Oben und kein Unten, es gibt keinen Anfang und kein Ende …« Sie verstummte. Dann sprach sie stockend weiter: »Und jetzt … hat ausgerechnet Maries Leben so … so … ein jähes Ende genommen!« Unvermittelt rannen Tränen über Ruths Gesicht. Sie griff nach Johannas Händen und schaute ihre Schwester eindringlich an.
    Â»Was waren wir für eine eingeschworene Gesellschaft! Die drei Steinmänner haben sie uns immer genannt. Nichts und niemand kam zwischen uns. Das stimmt doch, oder?«
    Johanna nickte stumm.
    Â»Und dann … am Ende … haben wir gar nichts für Marie tun können. Sie … sie war ganz allein!«
    Hastig schaukelte Wanda Sylvie auf ihrem Arm hin und her. Hoffentlich würde die Kleine nicht auch noch anfangen zu weinen!
    Â»Ach, Ruth, Marie war doch nicht allein, Wanda war bei ihr – Gott sei Dank. Wenn mich eines tröstet, dann ist es das!« sagte Johanna mit gepreßter Stimme und nahm Ruth in den Arm.
    Wanda schaute auf die beiden Frauen in der Mitte des Raumes und fühlte sich seltsam allein.
    Seit der Ankunft ihrer Mutter kam sie sich vor wie die Zuschauerin eines Schauspiels, in dem Ruth die Hauptrolle übernommen hatte. An die Seite gedrängt, zur Untätigkeit verdammt, nicht mehr richtig wahrgenommen. Da tat es gut, Johannas Worte zu hören.
    Auch die anderen Rollen schienen perfekt verteilt worden zu sein: Da war Johanna, die sich ihre eigene Trauer nicht anmerken lassen und für Ruth stark sein wollte. Da war Cousine Anna, die, als Ruth ihre neuen Entwürfe für Christbaumkugeln lobte, Sätze sagte wie: »Wir haben uns mit einigem arrangieren müssen …« und dabei einen giftigen Seitenblick auf Wanda warf. Dann gab es Johannes, der nur sprachlos glotzte und seinen Freunden später erzählen würde, daß die »Amerikanerin«, wie Wanda im Dorf genannt wurde, nichts war im Vergleich zu ihrer Mutter.
    Peter war eigentlich der einzige, der sich wie

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