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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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mußte heftig blinzeln. Es waren weniger die christlichen Darstellungen, die sie so rührten, sondern vielmehr der Gedanke an Marie. Was für eine Freude hätte sie bei diesem Anblick empfunden! Hatte sie doch an ebensolchen Bildern mit farbigem Glas in ihrer Genueser Werkstatt gearbeitet! Bäume, Blüten, Landschaften – unter Maries Künstlerhand war der kalte Werkstoff Glas wieder einmal zu Leben erwacht. Während Marie selbst das Leben ausgehaucht hatte …
    Wanda schniefte laut, was ihr einen Seitenblick ihres Vaters einbrachte. Sie lächelte ihn gequält an und schloß die Augen. Der Pfarrer stimmte ein neues Lied an, eine Lobpreisung des Herrn und seiner Güte. Mitsingen konnte sie nicht, sie kannte die Melodie nicht, und auch die Aussprache der teils altertümlichen Worte fiel ihr schwer. Aber der Gesang der Menschen hüllte sie ein wie eine warme, liebevolle Umarmung. Wanda seufzte leise auf.
    Auf der gegenüberliegenden Seite saßen Anna und Johannes. Wanda hatte die beiden beim Hereinkommenwahrgenommen. Während sie Johannes kurz zunickte, hatte sie Anna ignoriert. Noch immer saßen ihre bösen Worte wie ein Stachel in Wandas Fleisch. »Gib doch nichts auf das dumme Gerede!« hatte ihr Vater gesagt, als Wanda nach dem Besuch in der Glasbläserei Steinmann heulend bei ihm angekommen war. »Anna ist halt eifersüchtig auf dich, wegen Richard! Da schlägt man gern mal um sich. Männer benutzen dazu ihre Fäuste, Weibsbilder tun’s mit Worten. Aber es kommt immer das gleiche heraus: Man verletzt andere und sich mit dazu«, hatte er hinzugefügt. Wanda wußte, daß er recht hatte. Trotzdem hatten Annas Anschuldigungen ihr sehr weh getan.
    Richard hatte sich nicht weiter zu der Geschichte geäußert. Ja, er sei bei ihr gewesen, es sei um eine berufliche Angelegenheit gegangen. Auf Wandas Frage, warum er damit nicht zu Thomas gekommen sei, hatte er nur mit der Schulter gezuckt. »Bei euch zu Hause gibt’s doch derzeit nur ein Thema! Zum ernsthaften Arbeiten kommt man da ja nicht mehr«, hatte er geantwortet. Und Wanda war verstummt.
    Mir hast du den Mann geklaut, Marie das Kind …
    Vergiß Anna, schalt sich Wanda, während die Kirchengemeinde zu einem mehrstimmigen Refrain anhob. Morgen war der entscheidende Tag – nur das zählte.
    Bitte, lieber Gott, mach, daß alles gutgeht.
    Morgen würde sie nach Sonneberg fahren, um David die Aktien zum Verkauf zu übergeben. Die Wochen, die nicht hatten vergehen wollen, würden endlich ein Ende haben.
    Wanda seufzte laut auf. Daß Nichtstun ein solches Martyrium darstellen konnte, hätte sie nicht gedacht. Wieviel lieber hätte sie in einem Steinbruch gearbeitet, sich die Finger blutig geschlagen, den Rücken krumm gemacht!Alles wäre besser gewesen als die endlose Warterei der letzten Wochen. Tage, in denen Minuten zu Stunden wurden, in denen Stunden zu nicht enden wollenden Tagen wurden, die in schlaflose Nächte übergingen.
    Und dabei immer nur die Gedanken an Schiffe, die hoffentlich heil von der amerikanischen Südstaatenküste nach Bremen schipperten. Was konnte diesem Unternehmen nicht alles im Wege stehen! Ein Unwetter auf hoher See, eine Havarie, im schlimmsten Fall konnten gleich mehrere Schiffe aufgrund von Unwettern verlorengehen.
    Piraten, die auf der Suche nach lukrativer Beute ausgerechnet ein Schiff der Bremer Reederei kaperten.
    Kriege, die ausbrechen konnten.
    Natürlich schalt sich Wanda für solche Gedanken. Sei optimistisch! sagte sie sich. Sowohl ihr Vater als auch Richard belächelten ihre Ängste. Während Richard diese mit einem »Stell dich nicht so an, selbst wenn so etwas einträfe, könntest du nichts daran ändern!« wegwischte, versuchte Thomas Heimer sie erst gar nicht zu beruhigen – ihm fehlten einfach die Worte dazu.
    Beides erleichterte ihr das endlose Warten nicht gerade.
    Das Warten auf den entscheidenden Tag. Laut David war dies der 18. September.
    Wandas Blick wanderte erneut hilfesuchend zu dem Holzkreuz über dem Altar.

    Das schreckliche Nichtstun der letzten Wochen war lediglich von ein paar Fahrten nach Sonneberg unterbrochen worden. Manchmal hatte Wanda Sylvie mitgenommen, manchmal das Kind bei Eva gelassen. Wanda spürte, daß die Hitze des Sommers langsam etwas anderem Platz machte. Der Sommer war zu Ende, der Herbst aber noch nicht da. Etwas Neues war im

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